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408 Psychische Studien. XXIII. Jahrg. 8. Heft. (August 1896.)
seinem herrlichen Grunde aus über Salzbrunn nach
Reichenau und Bolkenhain, wo ich meines Vaters noch
lebenden Bruder, seine Schwester und meine Taufpathen
besuchen wollte, eine ähnliche seelisch und geistig erregende
und erhebende Erfahrung gemacht. Ich schritt am späten
Nachmittag rüstig mit meinem Ziegenhainer und Ränzehen
durch Nieder-Salzbrunn nach Adelsbach zu, um alsdann
zunächst Alt-Reichenau unter dem Sattelwalde zu erreichen,
woselbst meine einstige Jungfrau Pathe aus Bolkenhain
als Grossbäuerin lebte, die Schwester zweier katholischen
Geistlichen, von denen einer in Kloster Grüssau, der andere
in Polkwitz bei Gross-Glogau Pfarrer war, welcher letztere
meine Eltern i. J. 1832 am 5. Juni zu Jauer getraut hatte.
Er entstammte der Familie jenes astrologischen Pfarrers
Johannes Langerus von Bolkenhain, der i. J. 1500 seinen
eigecen Tod in einem noch erhaltenen lateinischen Kalender
auf das Jahr 1519 prognostizirt hat (s. „Psych. Studien"
Juli-Heft 1893 Seite 355, Note). Da ich von den Unterstützungen
geistlicher Pfarrherren im Striegauer Kreise
wie der weiteren Umgegend studirte, so hatte ich oft viele
Wege umsonst zu machen, um sie" nur anzutreffen und mir
mein jährliches Viaticum in den sechs Wochen meiner
grossen Perien einzuholen. Es war mir bisher noch nicht
viel geglückt, und in kummervolle Gedanken versunken
schritt ich meines Weges dahin. Da hatten sich hinter
Nieder-Salzbrunn die schon lange an den Bergen grollenden
Gewitterwolken, auf die ich nicht viel geachtet hatte,
plötzlich über mir zusammengezogen, und es brach ein
Unwetter los, wie ich es in meinem Leben nur noch einmal
im August 1895 bei Eisenberg im Sachsen-Altenburgischen
ähnlich durchgemacht habe. Ich wurde durch und durch
nass. Rings um mich her schlugen die Blitze knatternd
und rasselnd in den Erdboden. Da ich langsam weiter
ging und mich unter keinen Baum stellte, so glaubte ich
vor den Blitzen ziemlich sicher zu sein, wie ich bereits in
der Quarta bei einem guten Physiklehrer erfahren hatte.
Nach ungefähr einer Viertelstunde Toben brach unversehens
die goldene Abendsonne vor mir rechts durch die finsteren
Wetterwolken. Und nun sah ich etwas, was mir nach der
Physik der Schule rein unmöglich erschien, da mir gelehrt
worden war, ein jeder Mensch sehe nur seinen eigenen
Regenbogen und stehe stets in der Mitte vor demselben.*)
*) So las ich jüngst noch in einem abgerissenen Makulaturblatte
(1882 „Der Salon") folgende Stelle: — „dass aber dieses eine einfache
Verwechselung des subjectiven Horizonts mit dem objectiven, und
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