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432 Psycliische Studien. XXIII. Jahrg. 9. Heft. (September 1896.)
nicht wiederkehren wollte, so machte sich der Schwiegervater
, eingedenk des Rathes jener sachverständigen Frau,
endlich auch an die Untersuchung der Thürschwelle des
Wohnzimmers, und wirklich fand sich nach Entfernung
derselben darunter ein ähnliches Päckchen Leinewand mit
dem gleichen Inhalt, wie im Kopfpolster vor.
Nachdem auch dieses fortgeschafft und verbrannt worden
war, stellte sich rasch die alte Munterkeit, der frühere
Frohsinn und Humor der Frau wieder ein, und es schien
somit zweifellos, dass die erwähnten, im Polster und unter
der Thürschwelle vorgefundenen räthselhaften Gegenstände
mit dem deprimirten Seelenzustande der Schwiegermutter
in ursächlichem Zusammenhange stehen mussten. Diese
selbst war nicht nur fest überzeugt, „dass man es ihr
angethan habe", — sondern glaubte auch mit Bestimmtheit
, die Personen bezeichnen zu können, welche diese
Dinge in's Werk gesetzt, also die Behexung verübt
hatten. Und selbst der Schwiegervater, welcher als ein
nüchtern aufgeklärter und praktischer Geschäftsmann von
unbezweifelter Wahrheitsliebe allgemein bekannt war, hat
mir diese Geschichte nicht nur wiederholt erzählt und
namentlich das auch von ihm gehörte Geschrei im Polster
mit dem Tone so tiefer Ueberzeugung hervorgehoben, dass
ich selbst an der Realität dieses Zauberfalles — zumal auch
wegen der Aehnlichkeit der in Anwendung gebrachten
Zaubermittel mit den in derlei mittelalterlichen Berichten
erwähnten, aus grauer Vorzeit stammenden „Vehikeln" —
nicht länger zweifeln konnte.
Ueber die Persönlichkeit, die man im Verdachte hatte,
deuteten die Schwiegereltern, ohne je einen Namen zu
nennen, nur so viel an, dass es eine Frauensperson
gewesen wäre, die früher auf den Gatten Frz. R. . • „ein
Auge geworfen" und sich viele Mühe gegeben hatte, ihn
an sich zu fesseln, und nun, nachdem ihr dies nicht gelungen,
an der glücklicheren Nebenbuhlerin sich rächen, sich derselben
möglicher Weise gar entledigen wollte. — Dieses Frauenzimmer
machte sich nämlich in Gesellschaft einer Freundin
von ihr an die neuvermählte Frau R. . . klettenhaft an,
besuchte sie häufig, drang ihr ihre Freundschaft förmlich
auf, kurz zeigte ein so auffallendes Interesse für dieselbe,
dass die Annahme wohl nahe lag, als sei es ihr nur um
einen passenden Vorwand zu thun gewesen, in's Haus
kommen und den Zauber legen zu könneu; denn sie blieb,
sei es, dass sich die Schwiegermutter für sie nicht erwärmen
konnte, wahrscheinlicher aber wohl, nachdem der in's Auge
gefasste Zweck erreicht war, auffallender Weise wieder aus,
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