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434 Psychische Studien. XX11L Jahrg. 9. Heft. (September 1896.)
Phantastische verzerrt erscheinen. Wir überlassen die
Beurtheilung des Folgenden der selbsteigenen Vergleichung
unserer Leser mit den ihnen bereits selbst bekannt gewordenen
, oder von uns bekannt gemachten Fällen: —
Der Nachtjäger und das wüthende Heer.
Im Nachtjäger der Schlesier erkennen wir deutlich den
Wodan*) der alten Germanen. Mit Windeseile durchsaust
er das Luftreich und zeigt seine Macht besonders im Sturme
und Gewitter,**) Die Gestalt des Nachtjägers ist in den
einzelnen Theilen Schlesiens verschieden. Bald erscheint er
als kopfloser Reiter, bald als Jägersmann auf dreiköpfigem
Pferde, bald als Fussgänger mit der Flinte auf dem Rücken.
Hinterdrein zieht ein grosses Gefolge von Hunden, Wölfen,
Graumännchen und anderen luftigen Gestalten. Jägerruf,
Horngeblase, Peitschengeknall, Hundegekläff, gespenstisches
Geräusch und Gerassel verrathen laut den wilden Zug und
bringen die Menschen in Furcht und Entsetzen. Kleine
Kinder werden im Gebirge mit dem Nachtjäger zum
Schlafen gezwungen. Sein Gefolge besteht aus lauter
„wandernden Seelen" in den verschiedensten Gestalten.
Theils denkt man sich unter ihm einen Junker, der zur
Strafe für seine Sonntagsentheiligung bis an den jüngsten
Tag ruhelos jagen müsse, theils ist er auch wieder der
Teufel selbst
Einzelne Sagen vom Nachtjäger folgen.
Im Kreise Leobschütz [in Oberschlesien] liegt das Dorf
Sauerwitz, woselbst mein Vater in seiner Jugend die
Weberei erlernte. Jeden Sonnabend, sobald es Abends
dunkel geworden war, durfte er seine Mutter in Kreuzendorf
besuchen und den Sonntag bei ihr verleben. Die
beiden Dörfer mögen ungefähr zwei gute Stunden von
einander entfernt liegen. Jedesmal, so erzählt mein Vater,
*) Mit demselben Rechte könnte man auch den Rübezahl des
Riesengebirges dem Wodan gleichsetzen. Aber damit ist der „Nachtjäger
" der Schlesier, wie er von ihnen erlebt worden ist und zum
Theil noch erlebt wird, nicht erklärt, da die wenigsten Landleute und
Gebirgsbewohner etwas von Wodan wissen. Man könnte doch nur
vergleichsweise sagen, dass er dem Wodan des urgermanischen
Glaubens ähnliche Züge an sich trage. Er würde da aber eigentlich
wohl aus einem viel früheren Alterthume herstammen. (Vergl. „Psych.
Stud." October-Beft 1893 8. 479 ff.) Wie der wirkliche Nachtjäger noch
heutzutage den Menschen erscheint, ist geschildert in meiner Eltern
Erlebnissen im Juni-Hefte 1892 S. 251 ff. — Der Sekr. d. Red.
**) Nach der Volkssage ist auch der Berggeist Rübezahl ein
Wettergott, der im Sturme, unter Donner und Blitz und selbst im
Schneegestöber einherfährt. Vergl. „Psych. Stud." Januar-Heft 1885
S. 42 ff. — Der Sekr. d. Red.
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