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438 Psychische Studien. XXIII. Jahrg. 9. Heft. (September 1896.)
seinen Ersparnissen so viel vor, dass er seine Gläubiger
befriedigen konnte.
In der Gegend von Neisse heisst der Nachtjäger
„Feldjäger". Ganz alte Leute wissen noch viel von ihm
zu erzählen. Ging man an einem Sonntage Abends auf das
freie Feld hinaus, so konnte man in kurzer Zeit lautes
Schiessen und Hunde kläffen hören. Man sah nichts, doch
hin und wieder war's, wie wenn der Sturmwind über dem
Kopfe dahin fliege. Das ist der „Feldjäger" und seine
wilde Jagd. (Korkwitz.) S. 6—7.
Die weisse Frau.*)
In Breslau auf der Schuhbrücke, gegenüber der alten
Kirche von St. Matthias, liegen zwei alte Häuser (Nr. 45, 46),
welche lange Zeit einem Besitzer gehörten**) Dort erschien
alle Jahre in der Adventszeit eine hohe, lichte Frauengestalt
in einem weissen, langen Gewände. Sie schritt, so
oft sie erschien, durch alle Räume der beiden Häuser, und
verschlossene Thüren öffneten sich ihr von selbst. Auf dem
linken Arme trug sie ein kleines Kind und hielt in der
linken Hand eine Geldschwinge, aus der sie mit der rechten
unaufhörlich Geld herausraffte und umherstreute; am anderen
Morgen aber war von diesem Gelde nichts mehr zu finden.
Sie trug auch einen grossen, klirrenden Schlüsselbund am
Gürtel und öffnete jeden Schrank oder Kasten, um nachzusehen
, ob Ordnung darin herrschte. Sonst störte sie
Niemanden — ausser durch ihr Erscheinen. Eine alte
Frau, die mehrere Jahre durch diese gespenstische
Erscheinung erschreckt wurde, Hess endlich durch einen
Geistlichen die Zimmer mit Weihwasser besprengen; allein
es nutzte nichts: — die weisse Frau erschien nach wie vor,
und man gewöhnte sich zuletzt an sie.
(Schlesische Gartenlaube.) A. a. 0. S. 19.
*) Die hier folgenden vier Sagen schliessen sich unmittelbar an
meinen Artikel über „Die weisse Frau" im Dezember-Heft 1895
S. 558 ff. der „Psych. Stud." an. — Weitere ergänzende Notizen über
Hauskobolde und die „Weisse Frau" enthält ein Artikel von Rudolf
Iiieinpaul — „Sehlossgespenster" — in „Die Gartenlaube" Nr. 29, 1896
S. 488—49 L Seiner rationalistischen Hinwegdeutung der Erscheinungen
stimme ich selbstverständlich nicht bei. — Der Sekr. d. Red.
**) Nach dem mir gerade zur Hand befindlichen „Adressbuche der
Stadt Breslau" für das Jahr 1868 wai Eigenthümer dieser Häuser die
Commune, und es befanden sich darin pt. eine Volksbibliothek, die
I. Evangelische Elementarschule Nr. 14, die II. Katholische Elementarschule
Nr. 7, der Administrator der Grundstücke und einige Miether.
Das hier berichtete Ereigniss der ersten Erscheinung „Der weissen
Frau" fällt sicher noch lange vor diese Zeit. —
Der Sekr. d. Red.
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