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452 Psychische Studien. XXIII. Jahrg. 9. Heft. (September 1896.)
begabte Kronprinz. Er sandte mir aus Linz, seiner Station
als Commandirender, eine von ihm eomponirte, recht hübsche
Tanzmusik mit folgendem Billet: — ,lch erlaube mir, Ihnen
meinen letzten Walzer 'Am Traunsee' zu übersenden, mit
der Bitte um freundliche Annahme und sehr, sehr viel
Nachsicht! Ihr ergebener Erzherzog Johann.1 — Er mochte
wohl damals nicht vermuthen, dass es wirklich sein letzter
Walzer war. Im Jahre 1887 trat er aus der österreichischen
Armee aus. Bald darauf legte er aus freiem Antrieb alle
seine Würden, Auszeichnungen und Standesrechte nieder,
hörte auf, österreichischer Erzherzog zu sein, und nahm den
bürgerlichen Namen Johann Orth an, von der kleinen Halbinsel
Orth am Gmunder See, wo seine Mutter, die noch
lebende Grossherzogin von Toscana, ein Schloss bewohnt.
Sein edler, aber rücksichtsloser, unbändiger Drang nach
Freiheit duldete nicht länger die vielen Hemmungen und
Widersprüche, mit denen ihn die Traditionen und Vorschriften
seiner hohen Stellung umklammerten. Er mag im
Inneren einen schweren Kampf gekämpft haben. ,Glauben
Sie mir', — schrieb er an seinen ehemaligen Lehrer,
Professor Weilen, im Februar 1888, — ,ich weiss, dass ich
gefehlt; doch habe ich auch einen Prozess in mir durchgemacht
, den ich nicht meinem ärgsten Feind wünsche, —
der, ich gestehe es offen, — vorübergehend meinen Geist
gebrochen und mein Gemüth getrübt hat/ — Wie tief
schmerzlich klingen seine Zeilen aus Orth am 22. November
1888 an Weilen: — ,Mein Leben — es ist kein Leben, —
mein Dasein sieht genau so aus wie die nebligen, düsteren,
aussichtslosen, inhaltlosen Herbsttage im Gebirge. Warum
kann man die Menschenseele nicht um fünf Gulden stimmen
wie ein Ciavier ?* — Erzherzog Johann ging als Johann Orth6
nach England, machte die vorgeschriebene Schiffskapitänprüfung
, kaufte ein Schiff und segelte mit demselben nach
Gap Horn in Südamerika. Es leidet heute keinen Zweifel
mehr, dass er daselbst mit Schiff und Mannschaft zu Grunde
gegangen ist. Was hätte der hochbegabte, unglückliche,
junge Prinz seinem Vaterlande werden können! — Aber
Oesterreich war ein noch grösserer Verlust beschieden. Es
durchzuckt mich wie ein brennender physischer Schmerz,
so oft ich daran erinnert werde. Am Nachmittag des
30. Januar 1889 durchlief ein Gerücht die Stadt: — der
Kronprinz sei todt! Erschreckt, aber ungläubig schüttelte
man Anfangs den Kopf, war doch der Kronprinz Tags
zuvor gesund und rüstig gesehen worden. Da brachten die
Abendblätter die entsetzliche Nachricht von dem Selbst-
mord[?J des Kronprinzen auf seinem Jagdschlösschen in
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