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4G8 Psychische Studien. XXIII. Jahrg. 9. Heft. (September 1896.)
Pariser Wahrsagerin den gewaltsamen Tod des
Marquis de Mores voraussagte. — Vorigen Winter
hatte Mme. de Thebes dem kürzlich getödteten Marquis
von Mores seine Ermordung mit verblüffender Genauigkeit
vorausgesagt. Da ich im Pariser „Gauloisu von Mme.
de Thebes las, sie habe die „Handlesekunst" auf die Höhe
einer wahren Wissenschaft erhoben, und da ich über den
wunderbaren Zukunftsblick im Falle des Marquis de Mores
— den ich einige Jahre kannte — ganz betroffen war, sprach
ich eines Tages bei Mme. de Thebes in ihrer Wohnung
Wagram Strasse 29 vor. Mme. de Thebes ist eine schlanke,
wohlgebaute Frau, mit charakteristischem, entschiedenem
und doch sehr sympathischem Gesichtsausdruck. Beim
Sprechen sieht sie einem gerade in die Augen. Die offenherzige
Art, in welcher sie ohne Zaudern meine eigene
Zukunft aus meinen Händen las, — indem sie wichtige
Begebenheiten und hervorstechende Eigenschaften mit ausserordentlicher
Scharfsinnigkeit zur Sprache brachte, — berührte
mich im höchsten Grade angenehm. Mme. de Thebes wiederholte
mir auf Ersuchen die Unterhaltung mit dem Marquis
von Mores. — ,lch entsinne mich meiner Gemüthsbewegung,
,als ich den gewaltsamen Tod in der rechten Hand, der
,Willenshand, geschrieben fand. Ich fragte den Marquis, ob
,ich ihm alles sagen sollte? — 'Gewiss, Madame', — antwortete
er liebenswürdig, — 'sonst ist es ja nicht interessant/
,— ,Nun, wie Sie wollen! Sie werden eines gewaltsamen,
,eines schrecklichen Todes sterben, auf einer Heise in Ihrem
,42. Lebensjahre, und zwar, weil Sie es wollen. Ihre linke
,Hand, die Schicksalshand, zeigt im Gegentheil hohe Ehren,
,grossen Erfolg und eine wunderbare Gesundheit. Sie haben
,also selbst einen Schuldantheil, wenn Sie Ihrem Tode entgegenlaufen
.' —
„Mme. de Thebes enthüllte mir dann meine eigene Zukunft,
indem sie die Linien meiner rechten Hand — der „Hand
des Willens oder Wollens" — und diejenigen der linken
Hand — der „Hand des Schicksals" — betrachtete und dabei
die Farbe meiner Augen und meines Haares verglich. Nachdem
sie geendet, befragte ich sie über des verstorbenen Alexander
Dumas' Sohn, — sorgfältig ausgeführte Gypsabgüsse seiner
Hände lagen in einem Glaskasten, die Feder des berühmten
Dramatikers daneben. — Sie erwiderte: — ,Ich erinnere
,mich sehr gut, eines Tages vorausgesagt zu haben, dass
,Alexander Dumas an einer Gehirnkrankheit sterben würde.
,Unglücklicherweise ist dies auch wirklich eingetroffen. — Der
verstorbene General Boulanger bat mich einst, in seinen
,Handlinien zu lesen. Ich that es und erklärte ihm? dass
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