http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1896/0489
d'Esperanee: Pepi!
479
gessend, ausser der Thatsaehe, dass er das Gesetz übertreten
hatte und dafür bestraft werden musste. Und dieses konnte
sein stolzer, ungezähmter Geist nicht ertragen. So nahm er
sein Schicksal in seine eigenen Hände und stürzte sich
kopfüber, ungerufen, unvorbereitet und unwissend, in die
andere Welt.
Alle diese Dinge hörte ich immer wieder von Neuem
wiederholen, jedoch kreisten meine Gedanken nur rings um
die eine Thatsaehe, die ich nicht aus ihnen fortbringen
konnte: —
„Pepi war nicht todt, denn ich hatte ihn ja
gesehen." —
Die ganze Nacht hindurch schreckten mich die blassen,
verängstigten Züge und der hilflose, verwirrte Blick in den
dunklen Augen auf meinem Lager, und ich stand frühzeitig
auf, weil ich nicht schlafen konnte. In den Garten hinabgehend
, blickte ich beinahe furchtsam auf die Stelle, wo ich
ihn zuletzt gesehen hatte. Er war nicht dort, und ich hätte
nun gern wissen wollen, ob die Scene nach allem nicht der
Theil eines in der Nacht durch die Gedanken an die
Tragödie, welche während des vorhergegangenen Nachmittags
gespielt worden war, heraufbeschworenen Traumes gewesen
sein mochte. Bald kam eine Neuigkeit, welche fast das
ganze Dorf in Erstarrung versetzte und die Leute einander
sich furchtsam anblicken Hess, weil sie ihren Ohren nicht
trauten.
Der Pfarrer hatte sich geweigert, Pepi zu beerdigen!
Jenen ganzen Morgen lang schien es, als ob irgend ein
schreckliches Unglück das ganze Dorf befallen hätte. Ueberall
herrschte ein dumpfes Schweigen. Wenn die Leute mit
einander redeten, geschah es in eiligen Flüsterworten. Die
Männer vernachlässigten ihre Arbeit, oder sassen und standen
in schweigenden Gruppen an den Ecken. Die Frauen bewegten
sich geräuschlos und mit Thränen in den Augen um ihre
häuslichen Aufgaben und wagten es kaum, einander in's
Gesicht zu sehen.
Die Kirchthüre stand offen, Männer und Frauen gingen
ein und aus, und Einige knieten hin, um zu beten, Andere
wanderten ziellos umher, oder setzten sich auf die Kirchenstufen
, die Gesichter traurig niedergesenkt und den Rosenkranz
zwischen ihren arbeitsrauhen Fingern.
Nur in einer Hütte erscholl der Laut des Wehklagens,
der nicht gestillt werden konnte. Nur eine einzige Stimme
war es, die nicht zu beschwichtigen war, nur ein Herz, das
nicht aufhören wollte, für die Seele des armen Jungen, den
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1896/0489