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Wittig: Parallelfälle zu dem nächtlichen Schreckgespenst etc. 551
Mehreres spricht dafür, dass Neuffer selbst als reifer Mann
doch noch den Glauben hegte, es könnten diese Empfindungen
die der Knabe hatte, mehr als nur Einbildung gewesen
sein. Er sucht sie zwar hier als Folgen eines frommen,
stillen, in ihm früh erwachten Sinnes, der die Einsamkeit
liebte, zu erklären; aber wir entsinnen uns nicht, aus der
ganz ähnlich gearteten Knabenzeit Anderer, wie Klopstock,
auch Hölderlin, derartiges irgendwo gelesen zu haben.
Jedenfalls bezeugt uns der Dichter durch seine Dichtungen
selbst, dass auch später Träume und Ahnungen bedeutsamer
Art sich bei ihm einstellten. Als Beispiel diene Folgendes.
Er war verlobt mit Rosine Stäudlin, Schwester der in den
„Psych. Stud." Juni-Heft 1896 S. 292 erwähnten Friederike
Stäudlin und wie diese ausgezeichnet durch körperliche und
seelische Vorzüge, nach Neuffens eigenem Worte anscheinend
„aus feinerem Stoffe geschaffen als gewöhnliche Sterbliche."
Rosine Stäudlin welkte, wie Friederike Stäudlin, „rettungslos
in der schönsten Blüthe ihres Lebens" dahin und starb
Frühjahr 1795. Unter Neuffens Gedichten findet sich nun
ein Gedicht — ,Ahnung am Neujahrsmorgen 1795*, — in
welchem er offenbar ein wirkliches Erlebniss schildert und
erzählt, im Traume sei ihm die Liebste erschienen mit
Abschiedsworten, da sie bald von ihm scheiden müsse, und
dann fortfährt: — ,Schaudernd fuhr ich aus dem Schlummer, |
Und das Nachtbild war entflohn. | Doch ein Streif von halbem
Schimmer | Hellte noch das dunkle Zimmer, | Seufzer tönten
hohl und bang, | Und das Glas der Wanduhr sprang, | Und
mein Brautring war zerbrochen, Und die zwölfte Stunde
klang.' | — Es scheint uns, freilich mehr aus subjectiven
Gründen in Rücksicht auf die Art des Dichters, wie schon
gesagt, zweifellos, dass diesem Gedicht etwas Reales zu
Grunde liegt; es böte sich dann hier eine Art Gegenstück
zu dem a. a. 0. erwähnten Erscheinen der Schwester Friederike
(1777) während eines Schlummers vor ihrer Todesstunde bei
ihrem entfernt lebenden Verlobten. —
„Vom selben Verfasser stammt eine Ode: — ,Der
Warner'. Neufjer sagt darin, wie häufig einem verirrten
Wandrer im Wald in der Nacht ,ein Warner mit
flammender Fackel' erscheine, so gehe dem Menschen sein
Genius zur Seite. Er sagt wörtlich über diesen 'Warner':
— ,Aber, so wie zum Abgrund schon er taumelt, | Naht
mit flammender Fackel ihm ein Warner, | Der ihm liebreich
leuchtet und ih i \ zur sichern Wohnung zurückbringt/ —
Weiter spricht er sich über den 'Warner' nicht aus, und
es war mir lange unklar, was der Dichter wohl darunter
verstanden habe, da die nähere Schilderung der Einöde u. s. w.
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