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Maier: Ein moderner Hexenprozess.
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eine Besprechung im Pfarrgemeinderath, wobei dann der
Schultheis® von allem (auch von einem an die falsche
Adresse gekommenen und ihm übergebenen Brief eines
ähnlichen 23jährigen Wunderdoctors aus Eningen,
der denselben bei der Verhandlung ableugnete, weshalb ihm
Festnahme wegen Meineids in Aussicht gestellt wurde,)
nichts zu wissen behauptete. Auch der Stationskommandant
von Urach habe sich vergeblich bemüht, dam Hexenunfug
zu steuern. Es seien etwa sechs Personen als Hexen verschrieen
und dadurch in den früher friedlichen Ort Hass und
Zwietracht (bezw. „zweierlei Glauben") gebracht worden.
Zeuge suchte beim Ober-Amt Urach Ortsverbot für den
Speidel zu erwirken, wurde aber mit seinem Gesuch abgewiesen
. Nun wurde eine Tochter des alten Goller zur
Hebamme gewählt; da maa aber befürchtete, durch sie den
Hexenaberglauben in's Haus zu bekommen, wollten die
Leute sie nicht rufen lassen, so dass die Gegenpartei die
Tochter des Todtengräbers Michael Maier wählte, der
bezeugte, dass der junge Goller auch von ihm einmal
Bretter von einem Sarge verlangt habe, angeblich, um einen
Taubenschlag daraus zu machen; die Gemeinde sei durch
das Treiben des Hexenbanners mindestens auf eine
Generation hinaus verdorben.
Die meisten Zeugen aus Würtingen haben den Angeklagten
schon öfters und ganz sicher bei der Fahnenweihe
am 14. Juli, bei der Kirch weihe am 20. October und bei
einer Beerdigung am 8. Deeember v. J., einige auch noch
in den ersten Monaten laufenden Jahres dort gesehen. Drei
Zeuginnen sahen einmal die Rosine Goller, die dabei auf einem
Schemel zu stehen schien, drei geschwärzte Finger gegen
den Mund halten und hörten sie feierlich sprechen: — „Im
Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen
Geistes! Geh hinter mich, Satan! hinaus, hinaus aus meinem
Haus, in die äusserste Finsterniss, wo ist Heulen und Zähneklappen
!" — Ein ander Mal hörten sie dieselbe beten: —
,,Ja, mein liebes Schäflein, ja, ja, nein, nein" — und hinzufügen
: — „Der liebe Bruder Gottfried hätte mich doch noch
genommen." — Bei den Worten des Exorcismus habe sie
geschrieen, „wie kaum ein Stück Vieh schreit»" — Auch die
Maria Werner hörten Zeugen im Hause des Angeklagten,
den sie mit dem jungen Goller im September v. J. in
Belsen besuchte, laut schreien und sich erbrechen, was sie
selbst damit erklären will, dass aufgelesene Zwetschgen, die
sie im Hals gewürgt haben, wieder heraus mussten! Ihr
Vater Michael Werner, der in der Voruntersuchung geleugnet
hatte, giebt zu, dass der Angeklagte seiner gliederkranken
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