http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1896/0577
Maier: Ein moderner Hexenprozess.
567
selbe einen fahrlässigen Falscheid geschworen? — Staatsanwalt
Yelin betonte in einem vortrefflichen Plaidoyer, dass
der vorliegende Prozess einen traurigen Blick in die
Nachtseite unseres Volksiebens thun lasse, und dass
wohl die Geschworenen es nicht für möglich gehalten hätten,
dass trotz der Fortschritte auf dem Gebiete des Schulwesens
der Bildungsstand in so weiten Volkskreisen ein so niedriger
sei, dass die Leute dem nächsten besten Schwindler ihren
guten Namen, die Ehre ihrer Familie und ihrer Nachbarn,
ihr Geld, den Frieden ihrer Gemeinde, ihre eigene Gewissensruhe
, ja ihre Seligkeit opfern. Es gereiche ihm daher
zu hoher Befriedigung, endlich einmal mit der
Fackel der Oeffentlichkeit in dieses lichtscheue
Treiben hineinzuleuchten. Wie auch das Urtheil
ausfallen möge, die Macht der Hexenbannerei sei wohl in
dieser Gegend für immer gebrochen. Die Gewohnheit des
Lügens habe das Gewissen des Angeklagten so sehr
abgestumpft, dass er vom Betrug zum Meineid nur noch
einen Schritt gehabt habe. Solche Leute seien schwer zu
fassen, weil sie, wenn sie ihre giftigen Pfeile abgeschossen
und die unschuldigsten Menschen der Verachtung und
Verfolgung ihrer Mitbürger preisgegeben haben, in der
Versenkung zu verschwinden pflegen. Der Angeklagte habe
seine bedauernswerthen Opfer allerdings insofern behext,
dass sie lieber in's Zuchthaus gehen, als ihn preisgeben.
Von fahrlässigem Falscheid könne bei seiner Schlauheit
keine Rede sein; auch hätte er keine Verfolgung wegen
eines Verbrechens oder Vergehens, sondern höchstens eine
leichte Strafe wegen einer Uebertretung (Kurpfuscherei) zu
befürchten gehabt. Die Geschworenen mögen daher durch
Bejahung der ersten Frage die Menschheit auf einige Jahre
von einem so gemeingefährlichen Menschen befreien. — Der
Vertheidiger, Rechtsanwalt Bohnenberger, verwahrte sich
gegen das Hereinziehen des früheren Treibens seines
Clienten, der sich nur wegen Meineids zu verantworten
habe, und bat um Bejahung der dritten Frage. Wenn man
annehme, dass Speidel und seine Zutreib er an ihre geheimen
Mittel selbst nicht glaubten, so könne man ihnen ganz wohl
glauben, dass sie, wenn sie unter sich waren, nicht davon
sprachen, sondern höchstens wie die römischen Auguren
sich über die Dummen lustig machten, die nicht alle werden.
Einen goldenen Boden habe sein Handwerk übrigens weit
weniger gehabt, als die täglich in den Zeitungen angekündigten
Heilmittel, an deren Wirkung die Verfertiger und
Verkäufer, die Millionen damit verdienen, wohl in den
seltensten Fällen selbst glauben. —
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1896/0577