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576 Psychische Studien. XXIII. Jahrg. 11. Heft. (November 1896.)
unsatisfactionsfähig gemacht und aus ihren militärischen
Ehrenverbänden gestossen, ja in Folge dessen zu Festung und
Gefängniss verurtheilt, blos weil sie gläubiger sind an gewisse
, ihnen heilige Dinge, die Dr. Ewers mit Skepsis und
Missachtung behandelt hat, ohne sich doch deshalb von den
Kreisen dieser vermeintlich dummen Gläubigen fernzuhalten,
und weil ein Ehrenrath und selbst ein hoher Gerichtshof
diese skeptische Ansicht des Dr. Ewers theilen. Könnte
sieh derselbe Zwiespalt nicht auch bei jedem aus ähnlichen
Gewissens-Motiven entsprungenen Processe wiederholen, in
dem die Meinungen und Ansichten der Richter ebenfalls
derart verschieden wären? Trotzdem müsste doch Recht
walten!
Hören wir hierüber die nähere Begründung des Urtheils,
das am 20. Oktober er. 11 Uhr .Nachts vom Präsidenten
Wolff verkündet wurde: — „Die Frage, welche hauptsächlich
die Beweisaufnahrae beschäftigt hat, ist die, ob die
^Angeklagten v. Erhardt und Becker der Beleidigung des
Ehrenrathes schuldig sind, indem sie in der in den
,Neuesten Nachrichten' abgedruckten Erklärung dem Ehrenrath
vorgeworfen, es habe bei seinem Urtheil in Sachen
der Satisfactionsfähigkeit des Referendars Dr. Ewers mehr
das Nichterkennen wollen als das Nichterkennen können
vorgewaltet. Da fragt es sich nun zunächst, welcher Sinn
darin liegen soll Die Verteidigung und mit ihr die
beiden Angeklagten haben die Sache so dargestellt, als
hätte sich der Ehrenrath principiell nur dem Eindringen
in spiritistische Dinge entziehen wollen. Wäre das
der Inhalt des Artikels, so würde ja der Erklärung beizupflichten
sein, dass keine Beleidigung vorliegt. Aber
die ganze Art, wie die Angeklagten ihre Vertheidigung
geführt haben, lässt diesen Schluss nicht zu, sondern der
Sinn ist der gewesen, dass der Ehrenrath sich a b s i c h t-
lieh der Untersuchung nach dieser Richtung hin verschlossen
habe, die nach der Ansicht der Angeklagten
dahin führen musste, dass ihr Standpunkt als der
richtige und correcte anerkannt wurde. Und in diesem
Sinne würde der schwerste Vorwurf gegen den Ehrenrath
liegen, der überhaupt erhoben werden kann, der Vorwurf
der Voreingenommenheit. Es fragt sich, ob dieser Vorwurf
berechtigt war. Trotzdem der Gerichtshof nicht die
Pflicht hatte, diese Berechtigung zu prüfen, ist er doch
darauf eingegangen und hat dabei die Ueberzeugung gewonnen
, dass nich t festgestellt worden ist, dass der Ehrenrath
Kenntniss von einem Verhalten des Referendars
Dr. Ewers hatte, das geeignet war, ihn aus dem Kreise
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