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24 Psychische Studien. XXIV. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1897.)
Der Spiritismus, den der gelehrte Verfasser mit der
Wissenschaft vom Wesen der menschliehen Seele identificirt,
ist das Band zweier Welten, der irdischen und der ausser-
irdischen. Sein Gebiet ist eines der weitesten und zugleich
schwierigsten; seine philosophische Tragweite von unermess-
licher Bedeutung. Er ist so alt, wie die Welt, und trotzdem
stammeln wir kaum seine ersten Elemente. Weil er
einerseits den angeblich wissenschaftlichen Materialismus
mit unwiderleglichen Beweisgründen, mit Thatsachen,
die das Fortleben der Seele feststellen, bekämpft und
andererseits der unversöhnliche Gegner des Aberglaubens
ist, mit welchem die Priester der auf Dogmen gegründeten
Confessionen ihre Gläubigen nähren, so hat er in seiner
Mittelstellung zwischen einer nihilistischen Wissenschaft und
einer unduldsamen Kirche, die sich beide für unfehlbar
halten, die Pfaffen eines kindischen Glaubens und eines
atheistischen Unglaubens gleich sehr gegen sich, obschon
auch die letzteren nach den Erfahrungen der letzten Jahre
— wir erinnern nur an die RÖnigen-Stv&hlen und die Entdeckung
von Lord Rayleigh und Prof. Ramsay, dass die
atmosphärische Luft nicht aus zwei, sondern aus drei
Elementen zusammengesetzt ist, — allen Grund hätten, mit
ihren „positiven" Behauptungen bescheidener aufzutreten!
Es giebt Dinge, die über den Rahmen der „exactena
Beobachtungen und der in den chemischen und physikalischen
Laboratorien angestellten Experimente hinausgehen. Die
Pasteur, Claude Bernard, Berthelot, Rinan, Taine, welche der
Stolz der französischen Nation und anerkannte Führer auf
dem Gebiete der wissenschaftlichen Forschung waren, haben
die auf die siegreiche Vernunft gesetzten Hoffnungen vielfach
getäuscht. Ihre ausschliesslich der Materie gewidmete
Wissenschaft hat den Elenden keine grössere Summe
von Wohlsein und Glück, wohl aber durch ihre gewagten
Versicherungen und noch mehr durch ihren Geist der
Verneinung hinsichtlich der metaphysischen Fragen die
Hoffnung, und damit ihren letzten Trost geraubt. Schon
bereitet sich daher auch auf allen Gebieten des menschlichen
Lebens ein furchtbarer Rückschlag vor, von dem zu befürchten
ist, dass er, wie alle Reactionen, zu weit geht, indem
der zunehmende Skepticismus die Jugend an allem Wissen
verzweifeln lässt.
Der Zweck des Lebens ist aber, so sagt man, weder
zu wissen, noch zu glauben, sondern zu leben; die Bestimmung
des Menschen ist, wie alles, was lebt, in seinem
Dasein zu beharren. So gerechtfertigt nach unserer Ansicht
die Zurückweisung der aus der natürlichen Selbstsucht und
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