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52 Psychische Studien. XXIV, Jahrg. 1. Heft. (Januar 1897.)
der Landvogt der österreichischen Grafschaft Hohenberg.
Baron v. Holenberg empfing seinen Vetter mit gewohnter
Heiterkeit, führte ihn die Treppe hinauf und öffnete ihm
die Thür des grossen Saales, fuhr aber sofort mit Entsetzen
zurück, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend und an
allen Gliedern zitternd. Auf des Gastes erstaunte Frage,
was denn sei, deutete er heftig gegen die Mitte des Saales,
indem er nur den Ausruf: — „Da, da, da!" — hervorzubringen
im Stande war. Der Landvogt entgegnete, dass er nur das
grosse gedeckte Hufeisen der Festtafel sehe. Baron Hohenberg
aber rief: — „Dort, dort, sehen Sie denn nicht, dass der
ganze Saal schwarz ausgeschlagen ist, — und die vielen
Todtenkerzen, — und dort liege ich ja auf dem Paradebett
— und der widerliche Geruch von den vielen Lichtern und
dem Oel!a — Der Landvogt hatte grosse Mühe, den Baron
in's Zimmer zu nöthigen, damit er sich von dem Vorhandensein
der Festtafel überzeuge. Nach und nach, als die Gäste
anlangten, verwischte sich auch der schreckliche Eindruck,
und er kehrte zu seiner früheren Heiterkeit zurück. Man
setzte sich nun zur Tafel, wo jubelnde Toaste auf langes
Leben, viel Vergnügung und eine baldige Vermählung ausgebracht
wurden. Nach der Tafel begab man sich in's
Freie zu allerhand ländlichen Spielen. Auf einmal riefen
Einige aus der Gesellschaft: — „Wo ist denn unser lustiger
Tischrath, unser Michael Gänskragen? Seit die Tafel aufgehoben
ist, hat er sich unsichtbar gemacht und liegt gewiss
in Küche oder Keller tüchtig benebelt." — Der arme Bursch,
der gewöhnlich zum allgemeinen Stichblatt diente und bei
den Spielen mit Nasenstübern, Jagdhieben und Stössen im
Uebermaass bedient zu werden pflegte, hatte sich vor der
wilden Jagd in ein längst verödetes, nur wenig Hausleuten
bekanntes geheimes Gemach gerettet, zu dem, wie häufig
in den alten Herrenhäusern, eine steile, Fehr schmale
Treppe hinaufführte. Vergebens durchstöberte die lärmende
tolle Schaar das ganze Schloss. Der Baron Hohenberg lachte
sie aus und sagte, er wolle den vielgeplagten Hofnarren und
lustigen Tischrath unverzüglich herbeischaffen. Alles folgte
ihm, und er fand sofort den Flüchtling in seinem Verstecke.
Dieser weigerte sich aber zu öffnen. Vergebens suchte der
Hausherr die Thür mit Fusstritten zu sprengen. Da fiel
ihm ein, dass ein alter Zug die Thür öffne, er fand auch
sofort den lange vergessenen Strick und zog mit aller
Gewalt an. Aber der alte, mürbe Strick riss, und Baron
v. Hohenberg brach, rückwärts das Treppchen herunterstürzend
, das Genick. — Als der Landvogt v. Hohenberg
am anderen Tag mit seinen Gerichtspersonen in den Saal
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