http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1897/0075
%
Wittig: Ein Beitrag zu Giner besseren Charakteristik Cagliostro's. 67
bekannt und correspondirte viel mit ihnen theils selbst,
theils durch ihr Faktotum Karl Matthäi aus Nürnberg,
ehemaligen Informator des jungen Barons von Friesen,
den sie als Erzieher ihrer Sohnes, Privatsekretär und
Reisemarschall im Sommer 1777 in ihre Dienste nahm, und
dessen Correspondenz erst neuerdings aufgefunden worden
ist. Sie ging von Braunschweig Ende Juli direct mit ihm
und ihrem zehnjährigen Sohne nach Strassburg, woselbst
sie bis Mai 1779 verblieb und den blinden Dichter und
Gründer der Kolmarer Kriegsschule G. K. Pfeffel kennen
lernte, von dem unsere Leser bereits aus „Psych, Studien"
December-Heft 1881 S. 573 ff. und Mai-Heft 1885 S. 238
einen Bericht über gesteigerte Sensitivität kennen gelernt
haben. Die ßranconi ging im Mai 1779 nach Lausanne und
correspondirte von hier aus mit Lavater, der ihr am
31. Mai 1779 unter Anderem schrieb: — „Die Reise ist
kurz, das Ziel ist gross» Lasst uns Tage zählen und
Augenblicke wägen! Wie wir sind, werden wir sein! Unter-
tausend Menschen ist nicht einer, was er sein kann. Jeder
Mensch kann unaussprechlich viel sein. Die Menschen
wären Götter, wären sie, was sie sein könnton." — Sind sie
aber und geben sie sich als die Höheren, wie Chrisiiis zu
seiner Zeit, so werden sie ja doch von der Scheelsucht ihrer
Zeitgenossen beschimpft und gekreuzigt. . . . Goethe lernte
die schöne Frau im Spätherbst 1779 auf seiner mit dem
Herzog Karl August unternommenen Schweizerreise am
22. October kennen. Er schreibt an Lavater, dass es ihm
lieb sei, nicht an Matthäi's Platz stehen zu müssen, —
„denn es ist ein verfl. Posten, das ganze Jahr par devoir
wie Butter an der Sonne zu stehen." — Auch später schreibt
er demselben von ihr, als sie ihn Sommer 1780 in Weimar
auf einer Reise nach dem Norden besuchte: — „Ich habe
mich gegen sie so betragen, als ich's gegen eine Fürstin
oder eine Heilige thun würde. Und wenn es auch nur
Wahn wäre, ich möchte mir solch ein Bild nicht durch die
Gemeinschaft einer flüchtigen Begierde besudeln. Und Gott
bewahre uns für einem ernstlichen Band, an dem sie mir
die Seele aus den Gliedern winden würde. . . Auch thut
der Talisman jener schönen Liebe, womit die Stein mein
Leben würzt, sehr viel." — Am G. September 1780, also
genau drei Jahre vor jenem 7. September 1783, an dem
Goethe sein herrlichstes Lied: — „Ueber allen Gipfeln ist
Kuh" — an die Holz wand des Jagdhäuschens auf dem
831 m über See befindlichen Kickelhahn schrieb, befand er
sich „dort oben, um einsam, über alle Wälder erhaben und
von ihnen umgeben, eine Nacht zuzubringen. Es war schon
5*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1897/0075