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90 Psychische Studien. XXIV. Jahrg. 2. Heft. (Februar 1897.)
gegenüber besteht also aus wesentlich drei Stücken: —
1) Indirecte Beobachtung einer inschauenden Versuchsperson;
2) Interpretation der psychischen Leistungen derselben; —
3) Kritik derselben. Die Kritik kann dann auch die
physischen und physikalischen Begleiterscheinungen aufzählen
und abwerthen, aber nicht erklären, weil das Letztere
eine naturwissenschaftliche Aufgabe ist.
Aus dem bereits erwähnten Widerspruch in der geistigen
Persönlichkeit des Herrn Müller fliesst dann noch ein
anderer. Zu verschiedenen Malen versichert er, z. B. S. 6,
S. 35, unter Beiseitelassung aller Metaphysik eine rein
naturwissenschaftliche Erklärung anzustreben. Dabei liefert
er auf den Seiten 36—47 eine so geschickte metaphysische
Erörterung des Transscendentalen und des Subjectivismus,
dass ihm billig der Beifall nicht versagt werden kann. Und
das Resultat, zu dem er gelangt, nämlich dass Transscen-
dentales und Subjectivität synonym sind, ist in der That
ein werthvoller Wurzelgedanke rein theoretischer Art.
Sofort aber nach Entladung dieses, den Culminations-
punkt der Arbeit ausmachenden, Hinweises verfällt er wieder
in den naturwissenschaftlichen Monidiotismus zurück, wonach
das sinnlich Wahrnehmbare eine höhere Realität besitzt,
als das psychisch Wahrgenommene. Er schreibt S. 37: —
„Lässt sich dieses Element auf gar keine Weise, auch nicht
mittelbar durch seine Wirkung, anders darstellen, denn als
ein Gedanke, so bleibt dasselbe für uns wenig mehr, als
ein blosses Phantasma; gelingt uns aber dessen — wenn
auch nur mittelbare — Darstellung als sinnliche Wahrnehmung
, so besitzt dasselbe reale Wirklichkeit und
beruht sohin die Behauptung seiner Existenz auf Wahrheit
.« —
In dieser Behauptung steigert sich der aufgedeckte
Widerspruch zur Unerträglichkeit. Wollen wir versuchen,
den an dieser Weichenstellung entgleisten Wagen wieder auf
die richtige Schienenbahn zu stellen! Was sich also für
Herrn Müller nur als Gedanke darstellt, hat für ihn wenig
mehr Werth als ein Phantasma. Nun stellt sich uns aber
nicht nur unsere ganze seelische Innenwelt, sondern ebenso
die ganze Aussenwelt lediglich und wesentlich in Gedanken
dar. Ein Thier, eine Pflanze hat als vereinzelte sinnliche
Wahrnehmung absolut keinen wissenschaftlichen Werth;
erst der Gedanke, den ich mir davon entwerfe, und den ich
weiter abstrahiren und klassificiren kann, hat eigentlichen
Werth. Die Subjectivität aber, die der Herr Verfasser
entdecken will, giebt es innerhalb der Naturwissenschaften
überhaupt nicht; dort muss der Mechanismus logisch
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