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Kurze Notizen.
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Verwandten vorgeschützt hat, Sie ist jedoch nicht mit dem
Zuge abgefahren, der kurz darauf ein gänzlicher Raub der
Flammen geworden ist. Der trostlose Gatte sucht und findet
eine ihr ähnliche halb verkohlte Leiche unter den Trümmern
und begräbt sie. Sie sieht von den Fenstern der Wohnung
ihres Verführers aus, dessen Lieblosigkeit und Berechnung
sie eben erst erkannt hat, ihren eigenen Leichenzug und
ihren wie ein Bild des Jammers hinter ihm drein wankenden,
ehrlichen, treuen Mann, der sie so ehrlich beweint Im
dritten Akt theilen ihm die Geister durch Klopfen mit, dass
er in dieser Nacht seine Frau wiedersehen werde. „Und
als dann die reuige Simone bleich, in weissem Gewand und
überflössen vom Mondlicht vor ihm steht, glaubt er zuerst,
es nur mit ihrer Seele zu thun zu haben, bis ihm die süsse
Last dann in die Arme sinkt. Am Gewicht erkennt er, dass
Simone nicht nur Seele ist . . Seit drei Wochen war es
unmöglich, eine Pariser Zeitung aufzuschlagen, ohne dass
man darin mindestens einen Artikel über den Spiritismus
im Allgemeinen und den Spiritismus des Herrn Sardou im
Besonderen fand. Der 'Gaulois' gab seinen Lesern sogar
eine spiritistische Extra-Beilage, welche mit einem Artikel
über 'Madame Girardin et les tables tournantes chez Victor
Hugo1 anfing und mit einer 'Sitzung bei Cagiiostro1 *) endete...
Herr Sardou glaubt an Geister, er hat es zwanzig Mal in
diesen Tagen erklärt. Das ist seine Sache, und wenn ihm
auf diese Weise aus der vierten Dimension eine gute Idee
eingeflüstert würde, so könnten wir uns ja nur dazu gratu-
liren. Denn im Grunde kann es uns gleich sein, von welchen
fremden Geistern Herr Sardou seine Ideen bezieht .. Aber
vielleicht wechselt er mal seinen Spiritus rector?4' — Der
Kritiker ist sonach mit der dramatischen Ausführung nicht
recht einverstanden. Er glaubt an „Uebersinnliches", wenn
auch nicht „Uebernatürliches" und hebt Bßrnson's Drama
„Ueber die Kraft" als Musterbeispiel hervor. So auch „Die
Frau vom Meere", an die er im letzten Akte der Sardou1 sehen
Spukkomödie bei dem im Mondglanz dahin rollenden Wogenmeer
so lebhaft erinnert wurde. „Wie 'übersinnlich7 erscheint
der Zauber derselben gegenüber diesem Sardou'schen Tischrücken
: — Welch ein mystischer Zauber dort, gewoben aus
Furcht und Hoffnung und Sehnsucht! Das Meer scheint zu
uns zu flüstern, und jenseits des Meeres, jenseits aller Meere
*) Dieses Vergnügen haben Übrigens unsere deutschen Leser
ebenfalls gehabt im Februar-Heft er. der „Psych. Stud.", nur von einer
ganz anderen Seite der Betrachtungsweise dieses bestverleumdeten
Mannes aus. — Der Sekr. d. Red.
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