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Mflller: Das hypnotische Hellseh- oder Inschau-Experiment etc. 187
— „Das Veränderungsgesetz" —, in welchem die
Berechtigung des objectiven Standpunktes und damit die
Berechtigung einer naturwissenschaftlichen Psychologie näher
erörtert wird, dürfte das Vorstehende mit der nöthigen
Deutlichkeit hervorgehen.
Das hypnotische Hellsehen oder Inschauen (man kann
gern diese Bezeichnung des Herrn Falk Schupp acceptiren)
ist gleichfalls ein Bewusstwerden, welches im Inschauer
objectiv vor sich geht, und zwar ein solcher Vorgang, der,
weil er vom Hypnotiseur künstlich hervorgerufen wird und
beliebig modificirbar ist, die objectiv experimentelle Untersuchung
ermöglicht, andererseits aber auch auf den Process
der normalen Bewusstwerdung in mehrfacher Art ein helles
Licht wirft, üebrigens gilt, wie Münsterberg in seinen —
„Aufgaben u. s, w." — darthut, die directe Beobachtung und
Mittheilung des direct Beobachteten durch andere glaubhafte
, intelligente Personen für vollkommen gleichwerthig
der directen Selbstbeobachtung. Man kann aber dem Inschauer
noch weit mehr als jedem anderen Beobachter
vollsten Glauben beimessen, und zwar deshalb, weil er, wie
ich durch zahllose, in den letzten sechs Jahren angestellte
Versuche vollkommen überzeugt bin, zu einer selbstgewollten,
absichtlichen Täuschung oder Lüge gar nicht fähig ist. Die
ecclatanteste Bestätigung ihrer Wahrheit erfahren aber die
ingeschauten Beobachtungen und Mittheilungen — und dies
ist wohl das ausschlaggebende Moment — durch directe
experimentelle Nachprüfung und praktischen Erfolg.
üebrigens wäre ein Streit über die Anwendbarkeit und
den Nutzen der Inschau - Experimente derzeit sicherlich
verfrüht! Vor Allem handelt es sich darum, die fachwissenschaftlichen
Kreise auf dieselben aufmerksam zu
machen; deshalb habe ich auch meiner Broschüre eine —
„Anleitung zur Darstellung des Hellseh-
Experimentes" — beigefügt, in welcher ich versucht
habe, die Bedingungen, die zu seinem Gelingen erforderlich
sind, aufzuzählen. Dabei konnte ich um so eher bei einer
Definition dieser Erscheinungen stehen bleiben, welche das
Thatsächliche andeutet, ohne zugleich für irgend eine
positive Erklärung präjudiciell zu sein, als der Nutzen und
die Resultate, welche eine sich dieser Experimente bedienende
objective Seelenforschung ergeben, gegenwärtig noch gar nicht
zu beurtheilen sind. Denn sicherlich ist jene Definition
vorzuziehen, welche nicht mehr behauptet, als erwiesen
werden kann, und eine Verbesserung zulässt, ohne in
der ursprünglichen Fassung einen Irrthum eingestehen zu
müssen.
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