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192 Psychische Studien. XXIV. Jahrg. 4. Heft. (April 18Ö?.)
Alle möglichen Kombinationen, um sich dieses Gehen
auf natürliche Weise zu erklären, blieben erfolglos* Wir
dachten an Eatten, welche dieses Geräusch verursachen
könnten; aber auf diese Weise blieb unerklärbar die Regelmässigkeit
des Ganges. Wir dachten, dass vielleicht der
unten wohnende Schneider während der Nacht bügele und
es uns auf Grund irgend welcher, in der alten Bauart
liegenden akustischen Eesonanz vorkomme, als ob das
Geräusch von oben käme, und befragten auch deswegen den
Schneider. Er lachte uns aus, da er sich genug bei Tage
abplage und schon um 9 Uhr schlafen gehe.
Wir sagten das unserem Präfecten, und der Hess den
immer zugesperrten Boden (nachdem er sich auch von den
geheimnissvollen Schritten überzeugt hatte) durchvisitiren;
aber auf diesem Boden liess sich absolut Nichts finden, was
nur annähernd das Geräusch hätte erklären können. Und
da wir sahen, dass sich dieses unermüdliche Gehen auf keine
natürliche Weise erklären lasse, so überfiel uns eine grosse
Aufregung, und wir sassen manchmal ganze Nächte auf
unseren Betten und lauschten den unheimlichen Schritten,
bis uns die Augen vor Ermüdung zufielen.
Mit der Zeit wurde uns dieses ebenso unerklärliche als
unermüdliche und regelmässige Gehen so unheimlich, dass
wir, obwohl wir theoretisch noch immer an keine transscen-
dentale Ursache glaubten, doch praktisch von einer solchen
Furcht und einem derartigen Grausen befallen wurden, dass
jeder zu seinem besten Freunde schlafen ging, aber natürlich
dies bei Tage Niemand eingestehen wollte.
Nach zwei Jahren übersiedelten wir in die dritte
Kamerade, und die zweite Kamerade wurde nicht als
Schlafsaal benützt; ob wegen Mangels an Studenten, wie
man uns sagte, oder wegen dieses Vorkommnisses, kann ich
nicht sagen. Wie ich höre, wird diese zweite Kameradschaft
auch heute noch nicht zum Schlafen benutzt, und ich ahne,
dass der Grund dieser Anordnung gewiss in dieser geheimnissvollen
Beunruhigung liegt, da von derselben auch
unsere Oberen benachrichtigt wurden und sie eingestehen
mussten, dass sie sich das sonderbare Gehen nicht erklären
könnten.
Im Institute war es streng verboten, dass ein Schüler
mit dem anderen schliefe; aber während dieser ganzen Zeit
visitirte nie der Präfect, ob jeder in seinem Zimmer allein
schlafe, was wir uns als stillschweigende Erlaubniss eines
solchen gemeinsamen Schlafens — wegen unserer gegründeten
Furcht — erklärten. Ich kann sagen, dass ich es mit
Freuden begrüsste, als wir aus diesem Saale auswanderten,
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