http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1897/0207
Kurze Notizen.
199
Schäften der Astrologie, der Handlese- und Karten-
schlagekunst u. d. a. umfasst, belehrt uns, dass in einzelnen,
bestimmten Fällen das sichtbare Walten einer zwingenden
Vorherbestimmung unleugbar sei, und belegt diese Behauptung
mit unbezweifelbaren, gut erwiesenen Beispielen.*)
— Das Christenthum ist über die Frage „Willensfreiheit
oder Schicksal" nie so recht mit sich in's Keine gekommen.
Indem es die Verantwortlichkeit des Menschen und die
Wiedervergeltung lehrte, beglaubigte es die Annahme der
Willensfreiheit; indem es aber auf der anderen Seite wieder
unser ganzes Leben als abhängig von dem Willen Gottes
erklärte, musste es das Walten eines unabänderlichen Fatums
einräumen. — So haben wir bis jetzt für diese Frage zwar
eine ganze Menge von Antworten, aber noch keine Entscheidung
. Nun fand ich in der Wahrsagung der Mme.
de Thebes für den unglücklichen Marquis de Mores einen in
seiner Eigenart — wie mir wenigstens scheint — vollkommen
neuen und merkwürdigen Beitrag. Sie unterscheidet „Willenshand
" (die Rechte), und „Schicksalshand" (die Linke). Jede
dieser Hände reprasentirt ein Schicksalsbuch von völlig von
einander verschiedenem, wenn auch aufeinander bezüglichem
Texte. Sie findet in der rechten Hand den gewaltsamen Tod
des Marquis geschrieben, „weil er es wollte", und in der
Schicksalshand, ganz im Gegensatz dazu, hohe Ehren und
eine wunderbare Gesundheit. Damit aber stellt sie Willen
und Schicksal als zwei völlig gleich werthige Factoren
einander gegenüber. Der Menscli steht, frei wählend, mitten
inne. — Es wäre höchst interessant, wenn Jemand Mme.
de Thebes veranlassen könnte, weitere Belege für ihre merkwürdige
Aufstellung zu sammeln und der Wissenschaft
zugänglich zu machen. Hätte sie mit ihrer Aufstellung
recht, so wären wir in dieser Frage eigentlich wieder
zurückgeführt zur Doppellehre des Christenthums. Vielleicht
hat hierin längst die Naivetät des griechischen Volksmythus
die einzig richtige Lösung gefunden, indem sie ihren Herkules,
die verkörperte Willenskraft, am Scheidewege wählen
Hess und damit lehrte: — die Wahl des Weges ist frei,
seine Stationen aber und sein Endziel sind ein für allemal
gesteckt. — Altenburg im März 1897. Oskar Mummert.
b) Eine Seance in der Berliner „Psyche". — Der
älteste und zahlreichste spiritistische Verein in Berlin ist
die „Psyche", gegenwärtig unter Vorsitz des Herrn Schönherr.
*) Siebe darüber z. B. Kieservetter •—- „Die Geheimwissenschaften."
— Desgl. W. ReicheH angeregtes — „Problem der Willensfreiheit"
— in „Psych. Stud." März-Heft 1897 S. 126 ff. in seinem Artikel über
„Astrologie." —
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1897/0207