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A. Aksakow: Eine erkannte materialisirte Erscheinung. 213
hinten berühren gefühlt, und ich vernahm eine Stimme aus
dem Kabinet, aber da Frau Baronin Peyron zur selben
Zeit sprach, so machte mich das unsicher. Hierauf fühlte
ich, wie eine Hand sich schwer auf meine Schulter auflegte,
als ob irgend Jemand sich stützen wollte. Ich blickte mich
um und sah einen in leuchtende Gewänder gekleideten
Mann. Ich sah ihn deutlich, da das Licht aus dem Fenster
zu meiner Linken auf sein Gesicht fiel; ich erblickte ein
bleiches, zartes, verfeinertes Gesicht mit streng klassisch
geschnittenen Gesichtszügen, dunklen Augen und einem
weichen, schwarzen Schnurrbart.
Ich wünschte in unbestimmter Weise zu wissen, wer
es sein könnte, als er, noch immer meine rechte Schulter
drückend, sich vorwärts beugte und f,Tonyu sagte. Niemand
achtete auf die Stimme; hierauf rief er wieder in einem
fast angstvollen Tone: — „Tonyl" — Ich empfand
tiefe Sorge um ihn, aber ich wusste nicht, wer „Tony"
war. Ich glaube, man sang, und das verhinderte sie, seine
Stimme zu hören.
Ich rief nun aus: — „Die Gestalt spricht 'Tony, Tony ?
— wer kann das sein ?" — Hierauf sagte Frau v. Bitte-Dahl:
— „Ich bin die 'Tony\Hi — und kam schnell hervor. Der
Geist nahm seine Hand von meiner Schulter, und ich sah,
wie er Frau v. Bitte-Dahl1^ Gesicht zwischen seine Hände
nahm, und sie hatte ihre Arme um ihn geschlungen und
schien mit ihrem Kopfe an ihm zu ruhen; er aber schien
ein wenig zurückzuweichen, so dass sie Beide ein Stückchen
hinter mir an meiner rechten Seite sich befanden und halb
vom Vorhange des Kabinets verdeckt waren, von wo ich
Schluchzen, halbartikulirte Worte und Küsse vernahm.
Ich hatte mich sehr sonderbar und unwohl zu fühlen
begonnen, wollte aber diesem Gefühle nicht nachgeben aus
Furcht, diese Begegnung zu stören, welche für Jedermann
im Cirkel höchst rührend war. Aber endlich schien es mir,
als ob ich sie nicht länger ertragen könnte. Ich vermochte
nicht klar zu denken, ich konnte nur fühlen; ich vermag
das Gefühl nur zu erklären, indem ich mich mit einem
Schneemanne vergleiche, der schnell hinwegschmilzt, — als
ob das Leben mich verliesse, und ich verlangte nach einem
Hauche frischer Luft, oder nach sonst Etwas, das mir einen
frischen Halt am Leben gäbe. Dann kam es gleich einer
Inspiration über mich, Frau v. Bitte-Dahl hin wegführen zu
lassen, und ich brachte es mit Schwierigkeit so weit, um
auszurufen: — „Führt sie hinweg!" —
Irgend Jemand führte sie hinweg, sie war halb ohnmächtig
und weinte sehr viel; ich glaube, auch andere Leute
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