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Licbtenstein: Ein somnamb. Visionär als gieichzeit Heilmedium. 225
Ihrige vergebens gethan hatten, um die Krankheit resp. die
bösen Geister fortzuschwemmen, durch welche Pferdekur die
Frau sehr geschwächt war. Bei meinem ersten Besuche
war eine Reihe Stühle aufgestellt, und sie selbst sass auf
dem mittelsten, sprach nach rechts und links hin, als wenn
die anderen auch besetzt wären und sie sich mit diesen
Personen in starkem Wortwechsel befände. Es hatte den
Anschein, als sollte es eine Gerichtsverhandlung vorstellen.
Ich beobachtete ihr Treiben einige Tage, um genaue
Kenntniss zu erlangen, musste aber am fünften Tage
energisch vorgehen. Die Fenster und Thüren umgab ich
mit Bannstrichen, dass sie nicht hindurch konnte; denn sie
ging durch verschlossene Thüren, erhielt Gegenstände, wie
Messer, Gabeln u. s. w. Taschenuhr, Bücher waren von ihren
Plätzen verschwunden, um nach einigen Tagen wieder an
ihren Orten zu sein. Auch wusste sie genau, wenn ich von
Zuhause nach ihrer Wohnung ging. Eines Abends sollte
ich geholt werden, da sagte sie höhnisch: — „Ah, den
könnt Ihr heute nicht holen, der ist in Bernburg." — Es
war wirklich der Fall. Bei meinem nächsten Besuche hatte
sie ihren Mann in die Ecke gestaucht und kam dann blitzschnell
auf mich zu, fiel vor mir langsam auf die Knie, und
ich legte sie auf das Sopha. Jetzt war die Zeit gekommen, wo
ich in sie eindringen konnte, und ich erfuhr, dass ein
russischer Student in Jena seine Wirthstochter veranlasst
hätte, ihren Geliebten zu ermorden. Ausserdem sollten in
ihrer Umgebung Wesen mit Thierköpfen sein, was
nun alles durcheinander wirrte. Nach kurzer Zeit hatte
ich die Dinge bei ihr wieder in geordnete Bahnen gelenkt,
dass sie ihre Arbeit in der Fabrik wieder aufnehmen konnte.
Nach zwei Jahren bekam ich Gelegenheit, mit ihrem Manne
Herrn S. zusammen zu treffen, der mir klagte, dass er den
ganzen Sommer keine Arbeit gehabt hätte. Ich lud sie
ein zum Weihnachtsfest, ging einige Male mit ihnen in's
Restaurant, wo seine Frau acht Glas Bier im Trance
verzehrte. Das merkwürdigste dabei war, dass ihr Trancezustau
d schwer zu erkennen war. Die ganzen häuslichen
Arbeiten verrichtete durch sie ein angeblicher geistiger
Bauern junge; selbst das Kind hat er Tage lang auf
der Strasse gefahren. Wurde sie auf der Strasse angesprochen
, so führte der Junge das Gespräch, so dass
Niemand etwas gewahr wurde; er verrichtete auch halbe
Tage lang die Arbeit in der Fabrik. Eines Tages hatte
sich der geistige Junge sogar auf den Treibriemen gesetzt
und liess sich schaukeln, was andere Arbeiter gesehen
hatten. Den letzten Abend, wo Herr und Frau S. aus
Psychische Stadien. Mai 1897. 15
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