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230 Psychische Studien. XXIV. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1897.)
aber experimentiren wir heutzutage überhaupt nicht mehr.
Wenn wir nur möglichst viele Hindernisse um unser
Beobachtungsmaterial herum aufgethürmt haben, wenn nur
das Kesultat einer Beobachtung den unzweideutigen Beweis
liefert, dass bewusster Betrug des Mediums und unbewusste
Selbsttäuschung des Beobachtenden ausgeschlossen ist, so
sind wir schon höchst vergnügt. Aber Fragen stellen,
deren Antworten befähigt wären, uns in unserer geistigen
und seelischen Vervollkommnung weiter zu führen, das haben
wir scheinbar ganz verlernt. Dass es thatsächlich noch
andere psychische Fähigkeiten in uns, in normalem wie
anormalem Zustande giebt, als diejenigen, welche den alten
Wissenschaften bekannt sind, der Beweis dafür ist ja doch
nun schon bis zur Ermüdung erbracht. Unser nächstes
Ziel wird doch nun endlich sein müssen, fleissiger zu untersuchen
, worauf diese neuerkannten Fähigkeiten
hinweisen.
Eine gefährliche Strömung macht sich in letzter Zeit
unter unseren jüngeren occultistischen Forschern bemerkbar,
— die Manie, alles durch die animistische Hypothese erklären
zu wollen. Diese Strömung aber, extrem verfolgt,
muss uns unrettbar wieder dem Sumpf des Materialismus
zutreiben. Es ist immer, als wollten die Experimentatoren
eine entschuldigende Verbeugung gegen die herrschende
Wissenschaft machen: — „das heisst, das alles lässt sich
noch durch die eigene Seelenthätigkeit erklären." — Wenn
die alte Wissenschaft eine heilige Scheu hatte vor dem
Worte „Seele" überhaupt, so scheint unsere occultistische
Wissenschaft förmlich Reissaus zu nehmen vor der
Bezeichnung „Seele eines Verstorbenen." Es war seiner
Zeit eine dankenswerthe und gesunde Keaction gegenüber
der einseitigen Verfuselung des extremen Spiritismus, mit
Betonung hinzuweisen auf die Erklärungsprinzipien, die in
unseren eigenen psychischen Vermögen gegeben sind» In
der Begriffsaufstellung „öccultismus" erhielt die Geistwissenschaft
dann ihre allseitige, universelle Ausweitung.
Nunmehr aber dürfen wir nicht vergessen, dass die
Kategorie „Animismus" nimmermehr das letzte Erklärungsprinzip
und der Abschluss unseres geistwissenschaftlichen
Systems ist und sein kann. Denn wäre dies der Fall, so
würden wir für alle Zeit verzweifeln müssen, uns jemals
aus den Umschlingungen des Materialismus loswinden zu
können. Ist aber diese Erlösung für uns Alle „ein Ziel,
aufs innigste zu wünschen", so dürfen wir auch das Wort
unseres grossen vorahnenden Kant nicht vergessen: —
„Gott und die andere Welt ist das einzige Ziel aller
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