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Schupp: (Hebt es hypnotische Verbrechen?
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die Verführte Anna Lissna als Zeugin einvernommen. Dieselbe
erzählt, sie habe den Angeklagten in Wolkersdorf kennen
gelernt. Gleich am selben Tage habe sie der Angeklagte
gefragt, ob sie ihn heirathen möchte, und schon wenige
Tage später habe er bei den Eltern um ihre Hand angehalten.
Da er Radfahrer sei, habe er sie auch zum Radfahren
animirt. Er habe sie dann stets starr angesehen, mit einem
„furchtbaren Blick", habe ihr die Stirne bestrichen, und sie
sei dann wie narkotisirt umgesunken und habe sich der
Angriffe ihres „Bräutigams" nicht mehr erwehren können.
— Richter: — „Sie wurden also hypnotisirt ?to — Zeugin:
— „Ja, er hat mich früher öfter in Gesellschaft hypnotisirta
— Der Richter vertagt sodann die Verhandlung behufs
Vorladung eines Arztes." —
Zu der Sache selbst scheint mir folgendes nöthig zu
bemerken. Die vorliegende Meldung als richtig vorausgesetzt,
scheint es mir, als seien hier zwei grosse Fragen zu entscheiden
. Einmal die schon so oft behandelte, ob es ein
hypnotisches Verbrechen überhaupt giebt, oder nicht? Wird
diese Frage verneint, so ist die zweite Frage zu beantworten,
ob hypnotische Einwirkungen von Mann auf Weib bei
sexuellen Vorgängen anzunehmen sind, und ob und in wie
fern solche etwa strafbar sind.
Wenn man, wie Schreiber dieser Glossen, als Hypnotiker
bekannt geworden ist und das Hauptgewicht auf die
psychologische* Erforschung und erst in zweiter Linie auf
die praktische Anwendung gelegt hat, so wird man schriftlich
und mündlich bis zum Ueberdruss mit der Frage belästigt,
ob man an hypnotische Verbrechen glaube.
Mein Standpunkt ist der: — ich glaube an die Möglichkeit
, durch starke Suggestionen eine Person zu einer
verbrecherischen Handlung zu veranlassen, welche sie bei
normalem Bewusstsein aus eigenem Antrieb nicht begangen
hätte. Dabei ist die kunstgemässe Anwendung hypnotisirender
Methoden von sehr untergeordneter Bedeutung. Es können
solche indirecte Verbrechen von Menschen begangen werden,
welche nicht das Mindeste vom Hypnotismus wissen. Ja
selbst Bücher längst vergessener oder verstorbener Autoren
können plötzlich eine solche Wirkung hervorbringen. Verbrechen
dieser Art sind zu allen Zeiten begangen worden.
Die eclatantesten der anarchistischen Morde gehören zu
dieser Kategorie. Manchmal ist es auch die Autosuggestion,
die eine solche Wirkung verursacht. Nur eine dominirende
Autosuggestion vermochte einen Caserio zu der Gewaltleistung
zu befähigen, nach stundenlangem erschöpfendem Fussmarsch
und gepeinigt von quälendem Hunger sein letztes Geld für
PsyohiMhe Studien. Mai 1897. 16
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