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242 Psychische Studien. XXIY. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1897.)
die Erwerbung eines Blumenstrausses hinzugeben, in dem
er den todtbringenden Dolch verbergen konnte!
Diese Art von Verbrechern giebt es, wie gesagt, zu
allen Zeiten, nur eben in verschiedener Zahl, in Uebergangs-
zeiten, welche einen rapiden Niedergang aller kulturellen
Factoren aufweisen, mehr, in Aufschwungszeiten weniger.
Mir will es auch scheinen, als ob die meisten, welche
so ängstlich nach der Existenz hypnotischer Verbrechen
fragen, eigentlich etwas ganz anderes zu wissen begehren.
Nämlich ob man unverfolgbare Verbrechen dieser Art
begehen könne. Ob es also möglich sei, ein Opfer zu einem
Verbrechen zu veranlassen und demselben zugleich jedes
Erinnern an den Eingeber zu benehmen.
Dies wurde bisher nur von Romanschreibern behauptet,
welche die Hypnose lediglich aus Büchern kennen, und für
die der traurig-schöne Effect, der sich damit erzielen lässt,
ein gefundenes Fressen ist. Meine mannigfachen Erfahrungen
haben mir immer gezeigt, dass selbst bei ganz harmlosen
Eingebungen, trotz schärfster Eingebung der vollständigen
Erinnerungslosigkeit (Amnesie), dieser Effect nicht zu erzielen
ist. Es kann ein Monat, ja deren mehrere können vergehen,
dann taucht plötzlich aus der Meerestiefe des unbewussten
Seelenlebens die Erinnerung auf.
Also das hypnotische Verbrechen ist möglich, war es
immer und wird es immer, trotz aller Strafgesetze, sein;
aber das unverfolgbare, sogenannte blinde Verbrechen
ist nicht leicht denkbar unter den Bedingungen, unter denen
fast alle heutigen Staatsbürger leben. Es ist nur innerhalb
geschlossener Männergesellschaften überhaupt durchführbar
und auch da nur dann, wenn diese Cölibatäre im eigenen,
engsten Kreise leben, so dass die Amnesiesuggestion fortdauernd
einwirkt. Das grossartigste Beispiel einer solchen
Gesellschaft ist der Jesuitenorden, in dem dieses
Problem gelöst und praktisch verwerthet war. Auch die heute
in London, Prag und Barcelona bestehenden anarchistischen
Geheimbünde, in der Organisation dem Jesuitenorden nachgeäfft
, sind Versuche zur Wiedereinführung dieses Verfahrens
in psychologisch vollkommener Gestalt. Während die
Jesuitenmethode die Dreizahl der Verbundenen zur Grundlage
hatte, sind die anarchistischen Versuche auf die
Fünfergruppe basirt, welche aus verschiedenen suggestiven
Gründen noch viel wirksamer erscheint.
Von grösserer praktischer Wichtigkeit scheint mir die
zweite der oben aufgeworfenen Fragen. Bei der Mehrzahl
der Verbrechen, welche als hypnotische bezeichnet werden
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