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246 Psychische Studien. XXIV. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1897.)
Erhardt vorgestern Abend in den Kaisersaal der Tonhalle
eingeladen hatte. Etwa 1500—2000 Personen, darunter viele
Frauen, waren der Einladung gefolgt. [Der Redner wurde
bei seinem Erscheinen auf dem Podium mit lebhaftem
Beifall begrüsst, den er für sich selbst ablehnte und der
Sache, für die er kämpfe, zuschob: — Für Wahrheit und
Recht.] Freiherr v. Erhardt sagte einleitend, dass Diejenigen,
welche interessante oder gar sensationelle Besprechung seiner
aus der bekannten Spiritisten-Affaire erwachsenen schweren
Opfer erwarteten, sich getäuscht sehen würden; er werde
seine eigenen schweren Erlebnisse nur insoweit streifen, als
die Begründung seiner Weltanschauung dies nothwendig
mache. Unter dem Beifall der Versammlung kündigte Herr
v. Erhardt dann an, dass er das Wiederaufnahme-
Verfahren bezüglich des bekannten Processes vom
19. October v. J. für sich und seine damals Mitangeklagten
beantragen werde, da neue von ihm aufgefundene
Beweise das Wiederaufnahme - Verfahren aussichtsvoll
erscheinen lassen. Er werde keine Gerichtsverhandlungen
scheuen, bis die Wahrheit zum Siege gelangt sei, denn er
habe ein absolut reines ßewusstsein. — Den weiteren Ausführungen
des Redners entnehmen wir das Folgende; —
Die Zuhörer würden viele Dinge hören, welche ihnen noch
fremd seien, er bitte aber, Alles in freundlicher Weise
aufzunehmen und zu prüfen. Es gebe viel Elend und Sorge
in der Welt, und Jeder, der das Herz auf dem rechten
Fleck habe, müsse wohl von dem Verlangen beseelt sein,
helfend einzugreifen. Auf die verschiedenen Weltanschauungen
übergehend, betonte Redner die Notwendigkeit des Zusammengehens
aller Edeldenkenden. Er unterschied im
Wesentlichen zwischen der materialistischen und spiritua-
listischen Weltanschauung, sich zu dieser bekennend, und
hob dabei die Vorzüge der letzteren, sowie die Nachtheile
der ersteren hervor. Der Materialismus sage, dass das Leben
mit dem Tode aufhöre, während der Spiritualismus dem
Leben auch nach dem Tode eine Fortexistenz zugestehe,
eine Weiterentwickelung. Herr Freiherr v* Erhardt erklärte,
er habe schon vor vier Jahren sein Ehrenwort für die That-
sacben des Spiritualismus eingesetzt, er erhebe seine Hand
zum Eide: — Wenn ihm nachgewiesen werde, dass er sein
Ehrenwort falsch einsetze, so schiesse er sich eine Kugel vor
den Kopf. — Die Begriffe der Weltanschauung erörternd,
stellte Redner sich sodann vier Fragen; — 1) Wer oder
was regiert die Welt? — 2) Welches ist der Weltzweck?
— 3) Was ist der Zweck des menschlichen Lebens? —
4) Wie gelangt der Mensch zu seinem Zwecke, welches sind
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