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276 Psychische Studien. XXIV. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1897.)
schönes Wendendorf bei Parehim in Mecklenburg-Schwerin.
Hier hatte mein Vater von Amts wegen die Gemeininteressen
der ärmeren, sogenannten „kleinen" Leute zu vertreten, und
das that er mit der peinlichsten Gewissenhaftigkeit. Diesem
Umstände wird es auch zuzuschreiben sein, dass er von
Rechtswegen sehr häufig zum Vormunde der Ortswaisen
bestimmt wurde, und da derlei Ehren- und Gewissensämter
stets mannigfache Pflichten in sich schliessen, so mag es
begründet erscheinen, wenn mein Vater viel mit dem
Grossherzoglichen Amte abzumachen und zu thun hatte,
hier in Folge dessen auch sehr bekannt und wegen seiner
Zuverlässigkeit allgemein beliebt war. Unter den derzeitigen
Mündeln des Vaters war ein armes Mädchen, eine
Waise, Marie P. ..s. Dieselbe wurde zu Ostern konfirmirt
und war den Sommer darauf auf Veranlassung meines
Vaters zu einem Förster (Holzwärter) Z. in Friedrichsruhe
bedienstet worden, um sich hier bei leichterer Arbeit ihren
Lebensunterhalt und noch etwas baar Geld zu verdienen.
Obwohl der Dienstherr von meinem Vater verpflichtet wurde,
das Mädchen recht christlich zu behandeln und zu erziehen,
so kam es doch des Oefteren Sonntags zu meinen Eltern
mit der thränenvollen Klage, es müsse morgens in aller
Frühe die Kühe in's nasse Holz treiben und werde dann in
dem tbaufeuchten, hohen Waldgrase über den ganzen Körper
nass und nimmer trocken. Auf Betreiben meiner Mutter
liess der Vater sich dazu verstehen, er wolle mit dem
Forstmanne dieser halb Rücksprache nehmen, da das Kind
bei solchem Dienste ja krank und ungesund werde; nur
hielt den Vater immer noch der Gedanke zurück, der
Holzwärter sei grob und aufgebracht, und er möchte ihn
doch nicht reizen und erzürnen, vielleicht dass der Mann
durch sich selbst zur Einsicht käme. Aber das geschah
nicht. Unterdessen war wieder einige Zeit verstrichen und
meine Eltern hatten behufs der Landwirthschaft durch den
Holzwärter im Forste Friedrichsruhe bei Crivitz i. M. eine
Strecke Waldstreu gepachtet, die nun ausgeharkt werden
musste. Zu bemerken ist, dass in diesem Reviere grosse
Bretter- und Bauholztannen standen, die gefällt waren, weil
in diesem Jahre das eigentliche Dorf Friedrichsruhe — der
Hof war älter — angelegt und aufgebaut wurde. Vom
Fällen der Bäume warefi natürlich die Holzsplitter, gross
und klein, über das ganze Revier verstreut, und wollte man
die Waldstreu, Moos und Nadeln, zusammen haben, so
wurden allerdings die grösseren Stücke abgeworfen, aber
unvermeidlich und selbstverständlich war es, dass viele
kleine Splitter zwischen die Streu kommen mussten. Das
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