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Wittig: Die Nativität oder das Horoskop. 301
oder Sterndeuterei nach einer rationelleren Ausdeutung
der Gestirnconstellationen gebrochen. Aus der Stellung der
Gestirne zur Zeit der Geburt eines Menschen wurde von
den dieser Wissenschaft Beflissenen nach gewissen Regeln,
die sich aus dem höchsten Alterthume der Babylonier bis
ins Mittelalter und in die neuere Zeit fortgepflanzt und
entwickelt haben, die sogenannte Nativität oder das
Horoskop, d. h. die Prophezeihung aus den Aspekten
der Gestirne in der Stunde der Geburt gestellt Wenn
wir auch diese Regeln keineswegs als immer das Richtige
treffend erachten können, so giebt es doch historisch
überlieferte Fälle, in denen die aus solcher Astrologie
geschöpfte Weissagung aufs genaueste eingetroffen ist.
Freilich sind auch wir der Ansicht, dass manche Astrologen
zugleich visionäre Medien gewesen sein müssen, die
ihre Prophetie dabei im Geiste erschaut haben. Besonders
viel beschäftigten sich mit dem Stellen des Horoskops
unmittelbar vor, zu und nach der Zeit der Reformation
Melanchthon und Faust, die demselben Geburtslande Baden
entstammen. Melanchthon lehrte mit Ptolemaeus: — „Die
Aussprüche der Astrologen sind nicht apodiktisch, denen
man unbedingt gehorchen müsste, wie das Volk den Befehlen
des Prätors; gleichwohl sind die Himmelszeichen nicht
ohne Bedeutung." — Realschullehrer Schenkung-Privot in
Berlin sagt in „Die Natur" Nr. 9, Halle, d. 28. Februar
1897: — „Neben Ptolemaeus waren Galen und Aristoteles
Melanchthon9» Gewährsmänner auf diesem Gebiete, das sein
Interesse derart in Anspruch nahm, dass die Uebersetzung
des Ptolemaeischen Werkes 'de judiciis astrologicis' [über die
astrologischen Urtheile] zu seinen grössten Arbeiten gehört.
Da nun die Astrologie auch einen gewissen Theil der Physik
ausmachte, war sie [damals] gewissermaassen das einigende
Band aller Naturwissenschaften. Zunächst stand ihr die
Medicin." . . . „Für die medicinischen Professuren suchte
Melanchthon Männer, 'die die Naturwissenschaften nicht aus
irgend einem ganz veralteten Buche oder von einem
Schwarzkünstler erlernt hatten, nur um die Magisterwürde
zu erlangen', denn 'jetzt gehen die Studenten in die
medicinischen Vorlesungen, um wirkliche Naturkenntnisse zu
sammeln. Es ist das nur zu billigen; das Naturstudium
muss auf Anschauung beruhen und von, allem Wortkram
frei sein.'" — „Von der Lehre der Sympathie und Antipathie
hatte die Medicin nicht allein die Kräfte des Himmels zur
Heilung in ihr Bereich gezogen, sie öffnete sich hierdurch
das Reich der Mineralien ebenso, wie sie sich Medikamente
aus thierischen und Pflanzenstoffen bereitete. [Man sehe
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