http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1897/0320
312 Psyohische Studien, XXIV. Jahrg. 6. Heft. |Juni 1897.)
Gelteimwissen auf dein Lande.
Von Oskar Mummert in Altenburg.
I.
Das Losungswort nAu?s Land!a das die Soeial-
demokraten jetzt ihren Agitatoren zurufen, das sollten vor
allem wir Occultisten für unsere Sache beherzigen und ihm
Folge geben, freilich nicht, um zu bekehren, — denn dazu
besteht auf dem Lande wahrlich keine Nöthlgung, — aber
um uns belehren zu lassen. Denn nirgends steht die Theorie
des Geheimwissens, wenn auch oft sehr missverstanden und
missdeutet, in so hohem Ansehen und wird seine Praxis,
wenn auch ebenfalls sehr verunreinigt und stümperhaft, so
eifrig und mannigfach geübt und gelehrt, als auf dem Lande.
Die Wissenschaft brauchte auch bei dieser Expedition
durchaus nicht zu befürchten, mit dem Aberglauben
eine unwürdige Ehe einzugehen. Der Bergmann — auch
der geistige — darf sich nicht scheuen, in die tiefsten
Tiefen hinabzusteigen, um das Erz zu heben, das sich ja
selten auf der Oberfläche findet. Ja aus dem Aberglauben
heraus hat der wahre Glaube sieb erst entwickelt, wie Jeder
weiss, der die Entwicklungsgeschichte der Religionen kennt.
Ist doch gerade die Entstehung des Aberglaubens ein
Beweis für den Drang nach occulter Erkenntniss und hat
sich doch sein Fabelreich aus nichts anderem aufgebaut als
aus den ocoulten Erfahrungen naiver Menschen, mag dieses
Aufbauen auch noch so trümmerhaft und regellos geschehen
sein. Es steht dem unbeeinflussten Forscher wahrlich mehr
an, „den Wust des Aberglaubens" als das Roherz zu betrachten
, in dem unter Fremdstoffen und Schmutz das
lautere Gold wahrer Erkenntniss sich findet, als mit dem
ebenso billigen wie hochmüthigen Entsetzen des Vorurtheils
sich von dieser ganz „traurigen Verirrung" abzuwenden.
Möge er das Roherz säubern und ausglühen mit dem Lichte
der Wissenschaft, es wird dabei mehr herauskommen für
die Wahrheit, als bei dem zwecklosen und kraftzerstören-
den Rennen auf der öden Bahn gegenstandsloser Speculation;
denn im Occultismus bewahrheitet sich nicht zum wenigsten
das Wort: — „Was kein Verstand der Verständigen sieht,
das übet in Einfalt ein kindlich Gemüth."
Es mag paradox klingen, ist aber nichtsdestoweniger
wahr, dass der Landmann den Erscheinungen des Lebens
gegenüber sich philosophischer verhält als der Bewohner
der Stadt; denn er wittert und sucht hinter diesen und
zwar zuallererst eine geistige Ursache, während die von
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1897/0320