http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1897/0395
Wittig: Aus Nataly von Eschstruth's verbürgten Geschichten. 387
und meinen Pantoffeln bekleidet! Was soll das bedeuten?
Ein Gutes wahrlich nicht! Er hat sich angemeldet, — er
ist todt!" — In höchster Erregung eilt er nach Hause.
Da findet er in seiner Wohnung zu neuem Entsetzen dieselbe
unheimliche Spukgestalt, einen fremden Herrn mit seinem
Schlafrock und Pantoffeln bekleidet. Goethe taumelt zurück:
— „Von mir, Spuk! hinweg!" — keuchte er. — „Aber
Wolf, liebe treue Seele! — ist das ein Empfang für den
treuesten Freund?" — Da erkennt ihn Goethe, fasst ihn an,
weint und lacht in einem vor Freude und ruft aus: —
„Nein, diesmal ist es kein Geist, — er ist von Fleisch und
Blut!" — und die alten Freunde liegen sich in den Armen.
Der Zugereiste war bis auf die Haut durchnässt gewesen
und hatte sich inzwischen Goethe's trockene Sachen angethan.
Darauf sei er ein wenig eingenickt und habe äusserst lebhaft
geträumt, dass er ihm entgegen ginge und ihn just an der
Stelle getroffen habe, wo Goethe die Vision erschienen war.
Er habe ihn dabei ausrufen hören: — „In meinem Morgenrock
und Hausschuhen auf der Strasse?!" — Darüber sei
er beschämt erwacht. Da soll Goethe feierlich gesprochen
haben: — „Nun ist es das zweite Mal, dass das Jenseits
mich gegrüsst hat. Ich that abermals einen Blick in seine
geheimnissvolle Existenz und glaube an dieselbe. Nun
weiss ich, dass ich meine Lieben wiedersehen werde." —
„Und diesen Glauben", — sagte der Gebeimrath K. —
„hat Goethe bis an sein Lebensende, welches leider nicht
allzulange Zeit nach diesem Vorkommwiss erfolgte, behalten.
Auch ich habe noch oft über das Unerklärliche nachgedacht,
und ich gestehe es freudig ein, in meinem schweren Beruf
als Arzt ist es mir oft ein seliger Trost an den Sterbebetten
gewesen. Ich habe diese Erlebnisse manch verzagtem
Sterbenden erzählt, und er hat mir mit leuchtendem Blick
die Hand gedrückt und gelächelt: — 'Haben Sie Dank!
Nun weiss ich, dass auch ich meine Lieben wiedersehen
werde, dass es einen Himmel giebt!'" —
Die Verfasserin bemerkt hierzu in einer Anmerkung,
dass sie obige Erlebnisse aus dem Munde des alten Herrn
gehört habe. „Wenn es seltsam erscheint, dass solch eingreifende
Momente aus Goethe's Leben nicht früher allgemein
bekannt geworden seien, (dass sie bekannt waren, bestätigte
mir ein anderer Zeitgenosse Goethe's, Herr Hofrath G. in
Jena), so kann ich nur darauf hinweisen, dass auch Joseph
Victor v. Scheffel mir ein ähnliches spukhaftes Erlebniss
mittheilte, welches er bei ernstom Anlass meinem Vater
und mir auf Seehalde erzählte, und welches er bis dahin
ausser seiner Mutter wohl nur wenigen oder keinen Freunden
25*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1897/0395