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Schanz: Eine deutsche Reotoratsrede in italien. Beleuchtung. 431
an der Universität Leipzig (Verlag der Universitätsbuch-
handlung A. Edelmann, 1895) berichtet der Genueser Professor
JE. Morselli in der Beilage zu der Monatsschrift „II
Pensiero", wie nachstehend wortgetreu übersetzt ist: —
„Es ist eine Rectoratsrede, aber trotzdem enthält sie
(ich sage dies für uns Italiener, die wir daran gewöhnt
sind, uns bei so vielen akademischen Reden, von denen wir
heimgesucht werden, lediglich mit unnützem Kram abspeisen
zu lassen,) die Darlegung einer wenn nicht neuen, noch
durchweg originalen, doch sicher sehr beachtenswerthen
physio-psyehologischen Lehre. Der bis jetzt besonders durch
seine feinen anatomischen Untersuchungen des Rückenmarks
bekannte, aber auf dem Felde der Klinik und der Psychopathologie
noch ziemlich unbekannte, ausgezeichnete Professor
der Psychiatrie in Leipzig wollte gewissermaassen wie mit
einem Schlage in dies Gebiet eindringen, indem er darauf
ausging, uns endlich die uns fehlende Kenntniss der Function
einiger bis jetzt unerforschter, oder unseren experimentalen
und klinischen Untersuchungen hartnäckig sich entziehender
Gehirnregionen zu geben.
„Ich will damit sagen, dass ausser der wohl bekannten
Localisation der für die Functionen des Verständnisses und
Gedächtnisses der einzelnen Kategorien der Empfindung
(sensazione = sinnliche Wahrnehmung) Flechsig bestimmten
Flächen der gesammten Rindensubstanz des Gehirns, anderen
vier bis jetzt stummen Zonen eine bestimmte Function
anweisen zu können glaubt, die ihm zufolge die der
Association und somit der eigentlichen sogenannten Intelligenz
sein würde.
„Vor Allem vindicirt Flechsig und mit Recht Gall das
glorreiche Verdienst, die Lehre von der Localisation der
Gehirnfunctionen zuerst aufgestellt zu haben. Unbestritten
hat die Phrenologie des berühmten Wiener Gelehrten nichts
mit der heutigen Physio-Psychologie zu thun; allein, wenn
von Gall nichts bliebe als seine anatomischen Untersuchungen
über die Nerven • Centren, würde er für immer ein hinreichendes
Recht auf unsere Dankbarkeit haben. Seine
Localisationen waren irrige, phantastische, allein, wenn man
bedenkt, dass gleichzeitig ein anderer bedeutender Anatom,
öfter, und mit Unrecht, als er, noch in Erinnerung gebracht,
Sömmering, <*en Sitz der Seele in die Flüssigkeit verlegte,
welche die Gehirnkammern bespült, so erscheint die historische
Stellung Galts immer höher. Dieser setzte das physischpsychologische
Prinzip, dass die Gehirnwindungen das
Organ (er nennt es das Substrat) der psychischen
Thätigkeit sind, wie das andere, nicht weniger exacte
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