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434 Psychische Studien. XXIV. Jahrg. 8. Heft (August 1897.)
hingegen die Leiter der bewegenden Triebe in Beziehung
mit den Neigungen des Wesens ausgehen, höchstens ein
Drittel der ganzen Gehirnfläche ein: — dieses Drittel ist
es, worin die Bedingungen des Bewusstseins der Eindrücke
der inneren und äusseren Sinne und die der centralen
Anregungen der Bewegungen vorhanden sind. Allein welche
Functionen hat der übrige Theil der rindigen Oberfläche
des Gehirns; ist dieser stumm, oder besser gesagt, unthätig
im höheren Nervenleben, oder hat er ein ihm eigenes
Amt?
„Flechsig beantwortet ohne Weiteres bejahend; diese zwei
Drittel der Gehirnhaut, die noch nicht bestimmt sind, sind
dagegen zur Ausarbeitung des Gedankens oder der psychischen
Prozesse der Vorstellung berufen. Sie unterscheiden sich
nicht durch ihre Unempfindlichkeit für die Anreizung der
Physiologen, sondern auch durch ihre istologische Structur.
Auf diesen Flächen ersieht man die Disposition zu fünf zellenförmigen
Lagen, auf die schon Meynert aufmerksam machte.
Ich bemerke hier, dass unser Golgi, berühmt durch die
von ihm mit seiner Methode der Colorirung der nervösen
Elemente zur Istologie des Gehirns gegebene Anregung,
der Disposition zu fünf Lagen viel von ihrem Werthe
genommen hat: sie erschien ihm vielmehr ein wenig künstlich
herausgesucht. Jetzt bringt sie Flechsig, dessen
Competenz auf diesem Felde eine sehr grosse ist, wieder
zu Ehren; ja auf das Vorhandensein der fünf zellenförmigen
Lagen stützt er sich hauptsächlich, um sie als psychische
oder ;ntellectuelle Flächen zu charakterisiren. Diese wären
an der Vorderstirne, ein grosser Theil der Schläfen, ein
anderer Theil der Wand, die Insel des Reih
„Diese vier Centren, die in keinerlei Beziehungen zu den
von aussen kommenden Eindrücken stünden, besitzen eine
andere Eigenthümlichkeit, die embryologischen Ursprungs
ist. Ihre Elemente sind noch ohne Mielina (Hirnwasser),
wenn die der anderen rindigen Centren schon damit versehen
sind, und daran liegt es, weshalb ihre Thätigkeit, die
eine intellectuelle ist, nicht eher beginnen kann, als wenn
die Centren der Empfindungsfähigkeit vervollständigt sind.
Ihre Function besteht darin, die Thätigkeit der verschiedenen
Organe der inneren und äusseren Sinne der Gehirnhaut in
einer höheren Einheit zusammen zu fassen. Diese Centren
sind in Summa Associations-Centren, d. h. der Gebiete, wo
die Wahrnehmungen des Gesichtes, des Gehörs, des Tastsinnes
u. s. w. sich zusammenfinden. Das Denkorgan des
Leipziger Psychiaters ist also nach der rein associacionistischen
Lehre der englischen Psychologie concipirt.
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