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Wittig: Aus Nataly von Eschstruth's verbürgten Geschichten. 515
Jahren wieder geschieden. Dann erschien er dem Gross-
yater vor dem Tode, ebenso vielen Bediensteten des Schlosses,
wenn ihnen Tod oder ein sonstiges Unglück bevorstand.
Als der alte Theil des Schlosses vor wenigen Jahren abgebrannt
war, horte man die Nacht zuvor das entsetzliche
Heulen eines Hundes darin, und zwischen den Flammen
wurde er selber in einem Fensterbogen sichtbar. Der Mann,
welcher ihn zuerst sah, wurde eine Stunde später von einstürzendem
Mauerwerk erschlagen. Wohl hörte ich diesen
Bericht der Geliebten mit schmerzzuckendem Herzen, aber
ich nahm allen Muth und alle Zuversicht in Gottes Treue
und Gnade zusammen und redete meinem Bräutchen Muth
ein. Ich that Alles, um den Bann der Gespensterfurcht
von den Gemüthern zu nehmen, verschwieg, dass der Spukhund
vor meinen Augen verschwunden war, versicherte
ausserdem, jedes Unglück müsse nur mich treffen, da ich
ihn ja allein gesehen hatte. Dieses leuchtete schliesslich
Allen ein.. • Unsere Hochzeit wurde gefeiert, wir verlebten
ein Ehejahr, welches vollkommen an Glückseligkeit gewesen
wäre, hätte nicht der Gedanke an den gespenstischen Hund
doch immer wie ein Alp meine Brust belastet. Meine
kleine Frau schien gar nicht mehr daran zu denken, sie
sprach nie darüber, war stets heiter und guten Muthes, und
ich hoffte, dass die neuen Verhältnisse und die neue Umgebung
ihren guten Einfluss nicht verfehlen würden. Zwei
Tage, vor dem unser Söhnchen geboren wurde, richtete sie
sich plötzlich nachts im Bette auf: — ,Ein Hund bellt
ununterbrochen und lässt mich nicht schlafen l* — sagte sie
ärgerlich. Obwohl ich nichts hörte, sagte ich doch ebenso
ärgerlich: — ,Es ist Lieutenant v. MJa Bulldogge, welche
der Hauptmann nebenan in Pension genommen hat, so lange
wie M. verreist ist/ — Ich -ging auch pro forma an's Fenster
und schimpfte in den Hof. ,So, nun wird's Ruhe geben, —
der Bursch nimmt ihn in den Stall! Schlaf ein, mein
Liebling/ — Und die kleine Frau schlief sanft und ruhig
ein; ich aber lag mit fiebernden Schläfen die ganze Nacht
über wach. Ich hatte keinen Hund bellen hören, und ein
eisiger Schauder schlich sich mir in das Herz. — Nach
acht Tagen lag meine unbeschreiblich geliebte
Frau auf der Todtenbahre, — und als ich ihr, halb
wahnsinnig vor Schmerz, die treuen Augen zudrückte,
erscholl vor dem Fenster das laute, klagende Geheul eines
Hundes.' — Der Sprecher schwieg und strich langsam mit
der Hand über die Augen/' —
Die im Wartburg-Restaurant Versammelten erschöpften
sich auf alle nur denkbare Weise in Erklärungsversuchen. „Ohne
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