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520 Psychische Studien. XXIV. Jahrg. 9. Heft. (September 1897.)
Fachausdruck lautet, des „Scontrirens". Dabei fiel mir ein
in Wien aufgegebener Brief in Visitkartenformat in die
Hände mit der Adresse: — „Redaction der W. Bilder u. s w,"
Ich erinnere mich noch jetzt deutlich an die Schriftzüge.
Bis hierher wäre es eigentlich nichts Besonders gewesen.
Wohl aber das Folgende. Ich führte meine Arbeit zu
Ende und begab mich wieder zum Schalter, an dem soeben
ein Diener der „Wiener Bilder" stand. Er fragte mich, ob
noch kein Brief aus der Leopoldstadt (dem II. Bezirk
Wiens) eingelangt sei, da ein Herr der Redaction dringend
zwei Eintrittskarten für das „Car/-Theater erwarte, welche
bis jetzt noch nicht eingelangt seien. (Es war beiläufig 5 Uhr
Abends, um 7 Uhr begann die Vorstellung.) Natürlich
bejahte ich die Frage, hatte ich doch den Brief in Händen
gehabt. Ich möchte noch hier einschalten, dass ich dem
Diener sogar das Aussehen des Briefes kurz beschrieb, und
er meine Angabe bestätigte, da er schon früher mehrere
gleichen Ursprungs behoben hatte. Ich suchte unter dem
eingelangten Materiale, von dem Briefe aber war keine Spur
zu finden. Vielleicht, dachte ich, ist er „verhaut" worden,
d. h. in einen Winkel wohin gefallen. Ich suchte noch
emsiger; mich reizte die Sache schon etwas. Wieder
erfolglos. Unterdessen kam der Briefträger, in dessen
Bestellbezirk jene Zeitung gehört. Auch den beauftragte
ich, genau nachzusehen. Auch er fand nichts. Die Sache
war mir etwas „gruselig"; wohin mochte der Brief gekommen
sein? Nach meiner festen Versicherung, der Brief sei da,
aber wahrscheinlich irrthümlich verlegt worden und werde
um 6 Uhr bestimmt zugestellt werden, entfernte sich der
Diener. Es wurde 6 Uhr, der Brief war noch nicht da.
Beim Verlassen des Postamtes machte mich der Briefträger
aufmerksam, dass es unklug von mir gewesen sei, eine solche
Versicherung von der Anwesenheit dieses Briefes zu geben,
und dass gewisse Unzukömmlichkeiten die Folge sein könnten.
Selbstverständlich konnte der betreffende Herr das Theater
nicht besuchen. — Wie erstaunt war ich aber, als ich nächsten
Tag durch den Briefträger erfuhr, dass der Theaterdiener
ganz vergessen hatte, die Karten aufzugeben, und sie im
Rucksacke zurückbehalten hatte. Mir selbst erscheint das
unglaublich, und doch hab* ich's erlebt. Hätte ich den Brief
nicht in den Händen zu fühlen geglaubt, nun so hätte ich
dieses Vorkommniss als Vorahnung bezeichnet; allein dieser
Umstand, das Gefühl, den Brief in der Hand gehabt zu
haben, lässt eben keine Erklärung zu. — Wien. Mudolf
Schefa
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