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640 Psychische Studien. XXIV. Jahrg. 11. Heft. (November J8Ö7.)
Durchsicht gegeben, damit ich nicht etwa die Thatsaehen
durch eine anders geartete Auffassung entstelle; er hat sich
mit Allem bis zum letzten Komma einverstanden erklärt,
so dass man sie mit gutem Gewissen der kunstfertigen Hand
des Setzers anvertrauen kann. — Ich füge auf Wunsch mein
'curriculum vitae' für Sie bei. 1873 in Königsfeld geboren,
1879 nach Graz übergesiedelt, ist mir durch den Tod meines
Papas die militärische oder akademische Laufbahn, für
deren eine ich bestimmt war, abgeschnitten worden und
habe ich nach Absolvirung von drei Klassen Realschule
mich dem Handwerke des Juweliers gewidmet. Trotzdem
mein sich in Alles findendes Intellect und eine manuelle
Fertigkeit mir eine grosse Vervollkommnung in diesem
Fache ermöglichte und auch materiell mich befriedigte,
hatte ich doch nie vollendete Befriedigung darin gefunden,
zumal eine verschrobene Gesellschaftsanschauung dem
Gewerbe heute absolut keine Werthschätzung an gedeihen
lässt. Da entdeckte ich in kleinen Arbeiten für humoristische
Blätter mein poetisches Federchen, und die Folge davon
war nach und nach ein Eindringen in die Feuilletonspalten
von anfangs allerdings recht mikrobischen Journalen. Im
selben Augenblick fing ich mit erhöhtem Eifer an, meine
autodidaktischen Studien auf Sprachkenntnisse und andere
reelle Wissenschaften auszubreiten, so dass ich vor zwei
Jahren in die Dienste eines Wiener Journals treten konnte.
Da mir jedoch der Journalistendienst, Dumas nennt uns die
Galeerensklaven der Literatur, die Pulsung meiner literarischen
Ader zu sehr unterband, löste ich bei passender Gelegenheit
den Vertrag und bin nun frei. Die Hälfte des Jahres, den
Sommer und Herbst verbringe ich losgeschält von allem
Städtertand und der sogenannten „Civilisation" in meinen
geliebten Bergen, und hier in Holzknechthütten und Jägerstuben
finde ich — Menschen. Es sind glückliche Tage für
mich, frei im freien Walde herumzustreichen, mich durchzuringen
durch Schnee und Eis zu luftigen, gottesnahen
Felsenzinnen im schweigenden Hochlandsdom. ünd wenn
mich oben die Allmacht Gottes packt und ich angesichts
der Herrlichkeit und Titanengrösse mein Haupt entblössen
muss in stummem Schweigen, dann lache ich der Menschen,
dieser Marionetten einer gedankenlosen Dogmatik, die täglich
zwei bis drei Mal in die Kirche laufen, aber alles Andere
gethan haben, als bei ihrem Gott gewesen zu sein. Die freie,
gottesmächtige Bergnatur, sie ist die richtige Studirstube
der Philosophie, sie ist die Wiege des Occultismus, der da
auf logischen Sockeln sich aufbaut, und sie ist das Grab
des — Materialismus.
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