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642 Psychische Studien, XXIV. Jahrg. 11. Heft. (November 1897.)
möglich ist, Kommendes anzudeuten. Sie kannte weder
Namen noch Wohnort, nur angegeben habe ich, ob die
Personen männlich, weiblich, und ob sie verheirathet sind
oder nicht» Man weiss allerdings ja, dass schon über die
offenbarsten historischen Vorgänge sehr verschiedene
Anschauungen verbreitet werden und ein und dieselbe Sache
selbst von Augenzeugen verschieden berichtet wird; um so
weniger darf man sich wundern, dass das Zukünftige, selbst
wenn wir alle Bedingungen und Fäden desselben in der
Hand und vor Augen haben, niemals ganz bildscharf und
haarklein prognosticirt werden kann. Der Einsichtige wird
auch solchen Deutungen genügenden Spielraum lassen.
Trotzdem ist die Wahrheit in ihnen enthalten, ja es ist
oft mehr Wahrheit darin, als in den Berichten und Auffassungen
der Geschichte und des bereits Verflossenen jeder
Art. So sagen die Karten z. B. über die Gesinnungen
Anderer uns oft die genaue Wahrheit. Man muss, wenn
man selbst nicht Karten legen kann, die Somnambulen
probiren und wird in der grossen Auswahl unter diesen
Personen stets einige finden, die zu Einem passen. Gute
Medien dieser Art haben magnetische Anziehung für Viele,
denn darin gerade besteht das Wesen des Mediumismus,
der Mittlerschaft für die Einflüsse und für das „Oda Anderer.
Nöthig ist aber auch bei solchen Medien eine hervorragende
feinfühlige Kombinationsgabe, und gerade aus den
Äwpa'schen Karten, die Frau Dittmar benutzt, lässt sich sehr
Mannigfaltiges herauslesen, wenn man sich genügend Zeit
nimmt. Diese Arbeit ist aber keine ganz leichte und auch
anstrengend, ja sogar viel Nervenfluidum absorbirend,
besonders wenn sich auch mit dem Deuten der Karten und
ihrer Zeichen somnambule Sensibilität verbindet, was ich
auch schon beobachtet habe und bei Frau Dittmar fand,
indem die uns ja nicht mehr verständlichen, chaldäischen
Planeten-Figurationen der Äwpa'schen Karten sicher auf sie
phsychisch wirken, was ich für einen graphologischästhetischen
Effect hatte.
Der grosse Haufe der Sybillen besitzt die zu hervorragenden
Leistungen erforderliche Bildung und geistige
Beweglichkeit natürlich nicht, und eine Lenormand war nicht
ohne Grund so bedeutend, wenngleich ihr Weltruf nicht
ohne den Napolioris zu Stande gekommen wäre.
Ich aber bin durch die Erfahrungen mit Frau Dittmar
und anderen Kartenkünstlerinnen, auch durch meine eigenen
Experimente auf diesem Gebiete, zu der Ueberzeugung
gekommen, dass alle Wahrsagungstechniken zusammt der
Handlesekunst, Phrenologie und Physiognomik ihre wissen-
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