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C68 Psychische Studien* XXIV. Jahrg. 12. Heft. (Deeeraber 1897.)
erzogen hatte, lernte ja wohl in Folge anregender Familien-
Erinnerung des von ihm zu Hermannsdorf fest durch-
geschlafenen Kanonendonners der Schlacht an der Katzbach
am 26. August 1813 (s. „Psych. Stud." Mai-Heft 1892 S. 209)
in Jauer beim Stadtkunstpfeifer Richter die Musik auf fast
allen Instrumenten und wurde später Stabstrompeter bei
den schwarzen Husaren in Hernstadt und Wohlau und in
Folge dessen Kapellmeister daselbst.
Ich selbst habe meine Mutter sowohl in Vaters Geschäft
wie daheim als durch und durch praktische Hausfrau bis
in ihr hohes Alter gekannt und selten grosse Gemüths-
bewegungen oder gar Nervenzuialle bei ihr wahrgenommen,
also auch keine Üeberschwänglichkeiten und Exaltationen
irgend welcher Art. Freilich, an grösserem Gleichmuth und
an Seelenruhe übertraf sie nur noch mein Vater. Ihn
konnte fast nie etwas aus seinem geistigen Gleichgewicht
werfen. Die köstlichsten Stunden waren für uns Kinder,
ja auch für mich noch in höherem Alter die, wenn der
Vater Abends von seinen Ausflügen über Land mit seinem
treuen Schweizer heimkehrte und uns am Familientische
vor den dampfenden Schüsseln der Mutter seine Erlebnisse
und Abenteuer mit den Bauern und Landleuten erzählte,
mit denen er handelseinig geworden war, oder nicht. Mit
schlichter, aber wahrhaft homerischer Beredsamkeit verstand
er uns die Charaktere derselben aufs treffendste zu schildern,
und wie er sie und besonders die Frauen zu billigerem
Verkaufe ihres Viehs geneigt zu machen verstanden hatte.
Später habe ich ihn bei meinen wiederholten Heimathbesuchen
oft selbst begleitet und mich an seinem ganzen
Wesen und seinen stets scherzhaften wie witzigen und
humorvollen Bemerkungen gegenüber allen mit ihm Verkehrenden
erfrischt und ergötzt. — Die Mutter aber hatte
ein beinahe unverwüstliches Gedächtniss für Zahlen und
Daten, so dass ich im Jahre 1853, als ich mich für
unsere Familiengeschichte eingehender zu interessiren
begann, von ihr die ganze reichverzweigte Verwandtschaft
ihrer Eltern und Grosseltern bis in's dritte und vierte Glied
zurück mit allen Namen, Orten, Geburts- und Todestagen
genau und zuverlässig von ihr dictirt erhielt. Ihr verdankte
ich meine erste Erziehung, durch die ich bereits mit vier
Jahren schon ziemlich fertig lesen, schreiben und rechnen
konnte (vergl. „Psych. Studien" September - Heft 1893
S. 432 ff., November-Heft 1894 S. 565 und Mai-Heft 1895
S. 237 ff.), aber auch den auf ein bestimmtes geistliches
Ziel hinwirkenden Religionsunterricht, denn meine Mutter
war sehr frommgläubig und übte dadurch auch auf
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