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674 Psychische Studien. XXIV. Jahrg. 12. Heft. (December 1897.)
Geschichte auf ihr G emüth ihre erste Fehlgeburt zu, weshalb
sie auch bald mit dem Vater aus diesem ihr unheimlichen
Hause aus- und in's Nachbarhaus zu einer Wittwe Assert
zog, denn sie wusste von ersterem und von einem angeblich
darin umgehenden Spuk weit mehr, als die
erwähnte gedruckte Chronik berichtet. Das Manuscript hatte
sie vom jungen Pfarrer Faustmann zur Einsicht erhalten, der
es wieder von einem Kaufmann Brieger entliehen hatte. [Von
diesem Bürgermeister Michael Schüller wird später noch beim
Zaubermüller Peter Weigel 1575 als Schöppe die Eede
sein. Der Sohn dieser aus ihrer Gruft wiedergekehrten
Bürgermeisters - Gattin war nach seinem Vater ebenfalls
Bürgermeister.] — Kein Geringerer als der berühmte
Schweizer Staats- und Bomanschreiber Gottfried Keller hat
sich mit einem ähnlichen schauerlichen Vorgange eine Zeit
lang dichterisch getragen. Er schreibt an den Schriftsteller
Emil Kuh, den Biographen Hebbel'^, nach Meran aus Zürich,
den 6. December 1874, unter vielem anderen Interessanten
Folgendes: — „Ein Stoß, den ich alle zehn Jahre einmal
beäugelte, bestand in folgendem, einer in hiesiger Gegend
überlieferten Begebenheit, die übrigens auch schon gedruckt
sein mag: — Ein Mann begräbt seine gute Frau, die er
misshandelt hat. Sie war aber scheintodt und steigt daher,
als der Todtengräber in der Nacht das Grab wieder öffnet,
um die Leiche zu berauben, aus der Grube, nimmt die
Laterne des fliehenden Todtengräbers und geht nach Hause,
wo sie die Glocke zieht. Der Mann wacht auf---und,
erst voll Schreck über den vermeintlichen Geist, dann voll
Hass gegen die Wiedergekehrte, lässt er sie nicht ein,
sondern verstösst sie in das Unwetter hinaus in ihrem
Leichentuch, um sie umkommen zu lassen, und verschliesst
das Haus. Da geräth sie dem in die Hände, der sie liebt
und rettet u. 8. w. — Dieses Sujet war mir aber immer zu
shakespearenhaft und kolossal, doch zog es mich immer
wieder an.*) Vielleicht hätte ich es nach Hervorbringung
*) Das kleine Schema: — „Die Proven$alinu — ist gedruckt in
G. Keller** Leben, Bd. IL 8. 509 ft. Emil Kuh schreibt am 30. December
1874 [an Keller}: — „Das mir mitgetheilte, von Herrn Josef Weilen
schmählich verpfuschte Sujet hängt mit den Fäden der Volksüberlieferung
bei Romanen wie Germanen zusammen, was Sie wahrnehmen
werden, wenn Sie ühland's Abhandlung über ,Die Todten von Lustnau*
lesen." — [Anm. von /. Baechtold.] — Das trifft aber Alles hier nicht
zu. Die obige Begebenheit ist ein chronikalisch für Bolkenhain feststehendes
, wirkliches Ereigniss und keine blosse altgermanische oder
romanische Sage oder Volksüberiieferung. Ich werde die Polken-
hainer Geschichte noch einmal besonders behandeln. —
Der Sekr. d. Red.
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