http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1897/0698
690 Psychische Studien. XXIV. Jahrg. 12. Heft. (December 1897.)
Anders ist es mit Träumen, welche durch eine
besondere Seelenstimmung veranlasst werden. Sei es grosse
Freude, sei es tiefes, unsagbares Leid, was unser Herz
bewegt, wir nehmen beides aus dem wachen Zustande
hinüber in den Schlaf. Nichts bewegt die träumende Seele
als nur allein die tiefe Empfindung. Der diese Empfindung
im wachen Zustande dämpfende, zurückdrängende Gedanke,
verbunden mit einer Reihe anderer Gedanken, findet keinen
Einlass im stillen Traumbezirke. Das Innerste der von
keinem Zwang mehr beherrschten Seele quillt hervor,
unmittelbar, in voller Wucht, in lebensvoller Gestaltungskraft
sich äussernd. An die Stelle des blossen Gedankens
tritt die lebenssatte Gestalt in aller von der Phantasie
ausgestatteten Fülle. Da giebt es kein Bangen und Fürchten,
kein Sehnen und Wünschen, kein Erwarten und Hoffen
mehr. Da ist völliges Erleben und Geniessen.
Um das soeben Gesagte zu iliustriren, will ich einige
selbst erlebte Träume erzählen, Träume, die mich
eigentlich auf dieses Thema brachten.
Als zehnjähriger Knabe etwa gab ich mich mit den
Kameraden dem ausgelassenen Spiele hin. Einer derselben
rief mir in übermüthiger Laune zu: — „Kerl, Dich soll
der T..... holen!" — Ohne lange zu überlegen, was ich
sagte, entgegnete ich lachend: — »Nun, das kann er ja."
— Dies kurze, leichtfertige Wort bereitete mir jahrelang
entsetzliche Seelenqualen. Ich verlor den kindlichen Frohsinn
, geberdete mich scheu und verschlossen, fürchtete mich
in der Dunkelheit, ja hatte oft förmliche Hallucinationen.
Von einer frommen Mutter erzogen, nahm ich meine Zuflucht
zum Gebet. Stets führte ich ein neues Testament bei mir,
um hier Hilfe zu finden. Die düsteren Gedanken hielten
das Knabengemüth gefangen. Der grösste Fehler war der,
dass ich mich der besorgten Mutter nicht entdeckte. Sie
wäre gewiss im Stande gewesen, die düsteren Gedanken zu
zerstreuen und das aufgeregte Gemüth zu beruhigen.
Krankhafte Anlage war wohl nicht vorhanden, denn ich
war zuvor ein lebenslustiger Knabe gewesen, und auch
später als Jüngling war ich frei von ähnlichen Anwandlungen
. Dagegen brachte es ein unglücklicher Zufall mit
sich, dass ich gerade in jener kritischen Zeit die Geschichte
des Doctors Faust vernahm und zwar so, wie sie der Volksmund
erzählt. Das grausige Ende des Erzzauberers machte
auf die zuvor schon geängstete Kindesseele einen wahrhaft
entsetzlichen Eindruck. Die innere Angst erreichte den
höchsten Grad. Der von der thörichten Einbildung gänzlich
hingenommene Knabe glaubte stündlich vom Eachen der
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1897/0698