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Fr. Sch.: Etwas über Träume.
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Hölle verschlungen zu werden. So waren mir die Nächte
zur Qual, und die Einsamkeit wurde geflohen.
Wieder brach eine Nacht herein mit all der namenlosen
inneren Qual. Ich glaubte mich im Banne einer
unheimlichen Macht zu befinden. Wilde Spukgestalten
schuf die erregte Phantasie; ich fasste sie damals als reale
Wesen. Endlich schlief ich ein. Ein wunderbarer Traum
befreite das Knabengemüth auf immer von einem furchtbaren
Banne. Eine wohlthuende, milde Helle verbreitete
sich, und das Spukgelichter entfloh. Hoch oben in den
Wolken sah ich das majestätische Antlitz Gottes, wie er
auf die Erde hernieder schaute. In meiner Angst blickte
ich brünstig flehend zu ihm empor, und es ward mir, als
könnte ich zu ihm empor schweben und mich in seine Arme
flüchten, und ah ruhte ich frei von jeder Angst und voll
beseligender Gefühle an seiner Brust. In gehobener
Stimmung erwachte ich, und die lebhaften Traumempfindungen
wirkten so mächtig nach, dass der vorige qualvolle
Zustand nicht wiederkehrte.
Es scheint uns oft, als offenbaren sich der besonders
erregten Seele im Traume lichtvolle und kraftspendende
Mächte aus einer reineren Sphäre. Oder sollte die niedergedrückte
, in Aengsten ermattete Seele vielleicht in der
gehobenen Traumstimmung sich aufrichten und ihr verlorenes
Gleichgewicht erlangen? Sollte sie im Traume den freundlichen
Tröster finden, wenn kein Freund mehr zu trösten
vermag ? Sollte sie, auf den Gefilden der Träume wandelnd,
in sich selbst sich ermannen und gleichsam in ihrer wahren,
verklärten Gestalt sich gegenübertreten?
Als wahrhafter Tröster erschien mir der Traum bei
einer anderen Gelegenheit. Ein Jahr der glücklichsten Ehe
lag hinter mir, da raubte mir der Tod plötzlich die heiss-
geliebte Gattin. Als theuerstes Andenken, als Zeichen
unserer über das Grab hinüber währenden Verbindung Hess
sie mir einen hilflosen Säugling zurück. Ich befand mich
dem Zustande der Verzweiflung nahe, — der theuren Leiche
mit den reinen Engelszügen konnte ich kein Leben mehr
einhauchen. Ich musste sehen, wie sie an dem Plätzchen
gebettet wurde, das seither mir das kostbarste Erdenflecklein
ist. Eine Welt, das Licht meiner Zukunft schien mir
genommen. Da lag der kleine Säugling mit den blauen
Aeuglein, einom Erbstück der entschlafenen Mutter; da lag
er, der kräftige, hilfefleheude Knabe, und verlangte nach der
Mutterbrust. Das Herz drohte zu zerspringen vor unsagbarem
Sehnsuehtsweh. Zwei vereinsamte Menschenkinder
entbehrten der Seele, die so reichen Vorrath an Liebe
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