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700 Psychische Studien, XXIV. Jahrg. 12. Heft. (December 1897.)
Mitleids mit jenem Delfin von Vienne, Namens Bigo,*) dessen
Grossmutter die Schwester unserer Grossmutter gewesen **)
während er selbst der Sohn einer Schwester König KarV% I.
von Ungarn war,***) fragten wir tief bekümmert den Engel,
ob er vor dem Tode noch werde beichten können. Der
Engel aber antwortete und sprach: — 'Er wird die Beichte
ablegen und noch einige Tage leben/ — Darauf sahen wir
zur Linken der Schlachtreihe viele Männer stehen, welche
mit weissen Gewändern umgürtet waren, offenbar Männer
von grosser Würde und Heiligkeit; sie sprachen mit einander,
während sie auf die Schlachtreihe und auf das Geschehene
hinblickten, und wir beobachteten sie genau. Dennoch ward
uns weder zu fragen vergönnt, noch berichtete der Engel
von selbst, wer und welcher Art jene so ehrwürdigen Männer
seien. Plötzlich sahen wir uns wieder an unseren Ort zurückversetzt
; schon leuchtete die Morgenröthe, und Ritter Thomas
von Neuerburg bei Lüttich, der Kammerherr unseres Vaters,
kam und weckte uns mit den Worten: — 'Herr, warum
steht ihr nicht auf? Schon ist euer Vater in voller Rüstung
zu Rosse gestiegen.1 — Wir standen auf, waren aber gebrochen
und matt, wie nach grosser Reisestrapaze, und
sagten ihm: — ,Wohin sollen wir gehen? Haben wir diese
Nacht doch so viel gelitten, dass wir nicht wissen, was wir
thun sollen/ — 'Wie, Herr?' — sprach er, und wir sagten
ihm: — ,Der Delfin, der mit dem Grafen von Savoyen Krieg
führt, ist todt, und unser Vater will ein Heer sammeln, um
ihm Hilfe zu bringen; unsere Hilfe nützt ihm nichts, da
er todt ist.' — Er aber verlachte uns an jenem Tage, und
als wir nach Parma gekommen waren, erzählte er unserem
Vater, was wir ihm gesagt hatten. Dieser Hess uns rufen
und fragte, ob es wahr sei, dass wir solches gesehen. —
,Allerdings, Herr4, — antworteten wir ihm; — ,seid gewiss,
dass der Delfin todt ist.4 — ünser Vater schalt uns und
sprach: — 'Glaube doch Träumen nicht!' — Wir hatten
unserem Vater und Thomas aber nicht alles gesagt, was wir
auf zusammengekoppelten Pferden, trotz seiner Blindheit, in's Kampf-
gewübl stürzte und in demselben, wüthend um sich schlagend, auf
schauderhafte Weise zusammengehauen und erstochen wurde. — Wegen
des Wahrtraumes vgl. man S. 690 ff. d. H. — Der Sekr. d. Red.
*) Guigo Vlll. von Vienne wurde bei der Belagerung des
Schlosses la Perrtere (Dep. Savoie, Arr. Montiers) tödtlich verwundet
und starb Tags darauf, am 28. Juli 1333. Vatbonnais, Histoire de
Dauphin^. I, 296—297.
**> Maria, die Schwester von KarVz Grossmutter, Margaretha, war
die Schwiegermutter Bugo\ d^s Oheims von Guigo.
***) Beatrix, Tochter Karl Mar teils von Ungarn und Schwester
Karl Roberts.
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