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26 Psychische Studien. XXV. Jahrg. 1 Heft. (Januar 1898.)
Züchter stellen nicht nur bis auf die kleinsten Einzelheiten
hinab die schärfsten Beobachtungen bezüglich des Effectes,
den die verschiedenen Mischungen Futter auf das Thier
ausüben, an, sondern sie verwenden auch die grösste Sorgfalt
auf die Zubereitung und richtige Mischung des Futters.
Bekanntlich gehören Prinzen, Herzöge, Grafen u. A. zu den
begeistertsten Thierzüchtern und bereiten selbst das Futter
für ihre Lieblingsthiere zu. Wo aber findet man vornehme und
reiche Leute, die ihre Speisen selbst zubereiten ?*) Welcher
dieser edlen Herren würde es nicht unter seiner Würde
halten, sich über die Nahrungsweise seines Kindes den Kopf
zu zerbrechen, oder gar demselben die Nahrung selbst
einzugeben? Welche feine Dame überwacht jeden Bissen,
den ihr Kind isst? Das kann die Amme oder das Kindermädchen
besorgen! Aber die Fütterung ihrer Schoosshunde
und Stubenvögel würde sie unter keiner Bedingung ihren
Dienstboten anvertrauen.
Ihre Kinder und sich selbst überlassen diese Leute
dem Zufall! Die Wahl ihrer Speisen wird nicht auf
wissenschaftliche Weise entschieden, sondern bleibt den
Dienstboten überlassen. Was auf den Tisch kommt, wird
von den Erwachsenen gegessen, so lange es gut schmeckt
und sättigt, — alles andere ist Nebensache, — und dem
Kinde, das sich weigert, die ihm vorgesetzte Speise zu essen,
wird mit Schlägen oder sonstigen Strafen gedroht. Kurz,
die Unwissenheit in der Nährfrage ist grenzenlos! Ob die
Sonne scheint, oder ob es regnet, ob es warm oder kalt
ist, ob mehr geistige oder körperliche Arbeit von den Betreffenden
verrichtet wird, übt auf die Zusammenstellung
des Speisezettels seitens verständiger(?) Hausfrauen nicht
den geringsten Einfluss aus. Mit Thieren verfährt man
jedoch ganz anders; diese werden ihrem Zwecke entsprechend
gefüttert. Selbst der simpelste Bauer weiss ganz genau,
welches Futter er der Kuh zu geben hat, damit sie ihm
die beste Qualität Milch liefert. Will er sein Schwein
mästen, so wird er ihm wahrlich keine Blattpflanzen zu
fressen geben.
Somit können wir nur dann eine Veredlung der
Menschenrasse erwarten, wenn feingebildete Männer und
Frauen, statt Dienstboten zu halten, ihren häuslichen
Angelegenheiten selbst nachgehen, ihre Speisen und die ihrer
Kinder auf wissenschaftliche Weise wählen und selbst
zubereiten.
*) Eine rühmliche Ausnahme hiervon machte unseres Wissens
der ältere Dumas, der sich seine Lieblings-Gerichte selbst zubereitete.
Der Sekr. d. Red.
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