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32 Psychische Studien. XXV. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1898.)
ganz anderen natürlichen Existenz- und Wirkungsbedingungen
unterstehen, als dieses bewusste Ich der Lebewesen, das den
Materialisten bisher als die einzige .Form des „Psychischen"
galt und als eine Art Gesammtfunction des Körpers erklärt
wurde. Damit ist das Märchen von einem prinzipiellen
Widerspruch der Unsterblichkeitshypothese gegen die natürliche
Erfahrung endgültig beseitigt: denn wenn auch Viele
Bedenken trägen, die „spirits" selbst für die fortexistirenden
geistigen Persönlichkeiten verstorbener Menschen zu erklären,
muss doch das Beispiel der „spirits" nun allgemein die
Naturmöglichkeit zur Anerkennung bringen, dass die
Existenz der ihnen mindestens sehr ähnlichen Menschengeister
ebensowenig von den grobmateriellen Gebilden
abhängig ist, durch welche sie in unserer Erscheinungswelt
sich bethätigen: also auch die Naturmöglichkeit, dass sie
nach dem Zerfall des von ihnen regierten grobmateriellen
Werkzeugs — des Körpers — fortleben.
Die auf diese Weise als vernünftig accreditirte spiritistische
Zeitfrage wird, weil sie eine psychologische ist,
durch materielle Beobachtungen als solche nicht im
Geringsten der Beantwortung näher gebracht: was die
Mehrzahl unserer spiritistischen Forscher noch immer nicht
einsehen will. Nur die Beobachtung der spiritistischen
Phänomene nach der psychologischen Seite hin kann der
Lösung des Räthsels näher führen. Die auf diesem Wege
zu erwartende Wahrscheinlichkeitsentscheidung, mit welchen
intelligenten Kräften man es in den „spirits44 zu thun hat,
könnte freilich nie zur Gewissheit werden: trotzdem aber
könnte sie — sobald solche Beobachtungen endlich einmal
von allen Millionen praktischer Spiritisten der Gegenwart
in systematisch organisirter, gemeinsamer Arbeit exact aufgezeichnet
, von unterscheidungskräftigen Köpfen auf ihre
wegweisende Bedeutung verglichen und zu Wahrscheinlichkeitsfeststellungen
verarbeitet werden — schliesslich mit den
„Erfahrungsgewissheiten" der materialistischen Naturwissenschaft
konkurriren, welche ja logisch auch nichts Anderes
sind, als Wahrscheinlichkeiten. Denn durch eine beschränkte
Anzahl von Fällen (mit der es die materialistische Naturwissenschaft
dem Wesen ihres Gegenstandes zufolge immer
zu thun hat) lässt sich bekanntlich wohl die grössere oder
geringere Wahrscheinlichkeit, nicht aber die Gewissheit
einer These feststellen.
Nach dem bisher Gesagten werden nun aber unter den
sogenannten spiritistischen Erscheinungen diejenigen die
Wahrscheinlichkeitslösung des occultistischen Räthsels am
raschesten und ergiebigsten fördern, welche am meisten
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