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124 Psychische Studien. XXV. Jahrg. 3. Heft. (März 1898.)
Tartarus oder Hades nicht mehr wörtlich glaubten, glaubten
doch wenigstens noch an den hinter diesen Schilderungen
ruhenden Sinn, wie ja auch unser Christfest der Liebesgaben
und der Glaube daran nicht dadurch beseitigt wird,
dass unsere klüger gewordenen Kinder den Knecht Ruprecht
leugnen. Und wenn man an den Verkehr mit den Abgeschiedenen
trotzdem so fest glaubte, wie konnte man da
den Ort ihres Aufenthaltes so total leugnen, gleichviel, wie
man ihn nannte; wie hätte man ein „Elysium" als Ort der
Belohnung aller Guten nicht mehr von einem „Hades" als
dem Orte der Bestrafung aller Bösen unterscheiden und
an eine Hinüberfahrt in dieses Jenseits glauben sollen?
Das Folgende, was Eckstein über den Geisterglauben beibringt
, widerlegt schon obige Annahme von selbst. Einige
rationalistisch denkende Spötter, Dichter und Schriftsteller
sind noch keineswegs das Volk in seinem Kern und Wesen.
— „Man war im Gegentheil fest überzeugt, dass den Geistern
die Fähigkeit innewohne, unter gewissen Verhältnissen auf
der Oberwelt umzugehen und sich den Lebenden auf
die mannigfaltigste Weise zu offenbaren. Die absoluten
Leugner auf diesem Gebiete, wie der Dichter Lucretius,
sind spärlich gesät; der Allgemeinheit war der Begriff eines
mit der sichtbaren Welt in Berührung stehenden Jenseits
völlig in Fleisch und Blut übergegangen. Nur trat an die
Stelle der früher so realistisch und klar vorgestellten
homerischen und nachhomerischen Unterwelt ein mystischverschwommenes
Etwas, — und die phantastische Gottheit,
die über dies Etwas herrschte, war nicht mehr Persephoneia
(oder wie der Lateiner diese ihm fremde Gestalt nannte,
Proserpina), sondern die dreigestaltige HehMe" —
Uns will es scheinen, dass Hekate die einstige Proserpina}
(was buchstäblich „die Hervorkriechende" heisst), welche sich
wieder zum Lichte empor rang, doch wohl nicht ganz
ersetzte, sondern nur im Glauben der damaligen Menschheit
über den Theil der Unterwelt als Untergottheit gesetzt war,
welcher als Aufenthaltsort aller Sündigen und Schuldbeladenen
galt. Eckstein erklärt nun weiter: —
„Diese Hekate giebt sich in der nachtschwarzen Grausen-
haftigkeit ihres Wesens mehr als Ausgeburt der römischen
Einbildungskraft als der griechischen. Der Römer neigte
überhaupt mehr zum Schaurig-Grässlichen, als der Hellene;
die wehmüthig-öde Stimmung, wie sie über der urgriechischen
AsphodSloswiese*) schwebt, wurde bei ihm in haar-
*) Aspbodelos = die stille Pflanze, eine lilienähnliche Pflanze,
die seit uralten Zeiten von den Griechen den Todten auf ihre Gräber
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