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Bonn: Die ocoulten Fähigkeiten Kaspar Hauser's etc. 139
ihre Wellen bis in unsere Tage. An dieser Stelle
soll uns jedoch nicht sein Schicksal, sondern allein das
psychologische Problem, das sich in ihm darbietet, in seinen
occulten Beziehungen beschäftigen. Ich sage mit Absicht:
in seinen occulten Beziehungen. An K. H. treten
nämlich auch eine Reihe psychologischer Eigenthümlich-
keiten zu Tage, die allein auf einer krankhaften Thätig-
keit der normalen Sinne beruhen. Auf diese einzugehen,
liegt nicht im Zwecke dieser Arbeit. Sie soll nur jene
Fähigkeiten zur Betrachtung heranziehen, die nicht ein
Ausfluss der normalen Sinne sind, sondern im wahrsten
Sinne des Wortes als „übersinnlich" bezeichnet werden
können.
Die Lebensgeschichte Kaspar Hauser's1) darf ich wohl
als bekannt voraussetzen. Man findet dieselbe zudem in
jedem Konversationslexikon, und es genügt daher, wenn
ich hier nur die nöthigen Daten registrire. Am 26. Mai 1828
wurde in Nürnberg ein etwa 17 Jahr alter Bursche aufgefunden
, der des Gebrauches seiner Sinne vollständig unfähig
war und auf alle Fragen nur einige stereotype, eingelernte
Redensarten herunterlallte. Angestellte Beobachtungen ergaben
, dass man weder einen Idioten, noch einen Betrüger
vor sich hatte, sondern vor einem grauenvollen Räthsel
stand. Aus K. //.'s späteren Aussagen erfuhr man, dass der
Unglückliche von seinem dritten Lebensjahre an ohne Licht,
bei Wasser und Brod, ohne jede Beschäftigung in einem
Keller gehalten und dann heimlich nach Nürnberg geschafft
worden war. Die Nürnberger nahmen sich des Findlings
an, und der Erziehung des Professors Daumer gelang es,
einen brauchbaren Menschen aus ihm heranzuziehen. Langes
Leben war ihm nicht beschieden. Am 17. October 182!)
wurde ein Mordversuch an ihm begangen, dem am
14. December 1834 seine Ermordung folgte.
Wir haben in K. H. einen einzig dastehenden Fall einer
„Störung" in meinem Sinne. Bevor wir uns nun näher mit
Wesen und Umfang derselben beschäftigen, müssen wir einen
Blick auf die dabei angewandten Mittel werfen.
K. Z/.'s Gefängniss war ein Keller von 6—7 Fuss Länge,
4 Fuss Breite und 5 Fuss Höhe. Der Jüngling musste
*) Von mir benutzte Speciallitteratur: — Prof. G. F. Daumen —
„Mittheilungen über Kaspar Hauser." 2 Hefte. 1832. — /. H. Garnier\
- „Einige Beiträge zur Geschichte K. Ä's". 1834. — W. C. Gräfin
v. A.: — »Kaspar Hauser." 2 Bände, 1839. — G. F. Daumer % — .»Enthüllungen
über K. H." Frankfurt, 1859 — A. v. Feuerbach: — »Kaspar
Hauser." 1832. — Ein Bericht von Tucher. Vormund K. H.% abgedruckt
in „Sphinx." Bd. V, ö. 345.
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