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180 Psycbisobe Studien. XXV. Jahrg. 4. Heft. (April 1898.)
Der richtigste Satz in dem Aufsatze ist jedenfalls der
Schluszsatz, nur mit dem Unterschiede, dass anstatt der
Worte: — „Das Gros der Menschheit ist nicht für die
Forschung4' — stehen sollte: — „Das Gros der Gelehrten
—, sobald es Themata betrifft, die ihren eingewurzelten
Vorurtheilen widersprechen." — Möchte Herr Dr. /. finden,
dass auch bei ihm dasjenige zur Wahrheit wird, was er
bisher, weshalb, weiss er wohl selbst nicht zu sagen, für
Irrthum erklärt.
Das Uebersinnliche in* der deutschen Litteratur
unseres Jahrhunderts.
Von Dr. Richard Wedel in München.
I.
Die schöne Litteratur kann füglich mit einer photo-
grapbischen Platte verglichen werden, welche alle Eindrücke
der umgebenden Äiussenwelt aufnimmt. Wer sich auf die
Hervorrufung versteht, wird sich durch sie ein getreues
Bild von dem Leben und den geistigen Strömungen einer
gewissen Epoche machen können. Wir entnehmen daraus,
dass der Blick der Menschheit im Anfange unseres Jahrhunderts
mehr auf die Antike und später auf das Mittelalter,
also rückwärts, gerichtet war, während er jetzt vorwärts in
die Zukunft späht. Schon einmal hat übrigens die Weit
ein ähnliches Schauspiel geboten: die Renaissance und die
darauf folgende Reformation. Es ist dies auch begreiflich,
denn nur, wenn ein Mensch sich der Vergangenheit seiner
Rasse vollbewusst geworden ist, wird er an der Weiterentwickelung
ein zu reges Interesse haben, als dass er nur
im unbewussten Kampfe um's Dasein den Portschritt fördern
sollte. Dieses Ringen wird ja allerdings immer der wesentliche
Factor sein und bleiben, wie dies in der Natur von
uns Bewohnern dieses Planeten liegt. Aber eine naturgemässe
und wissenschaftliche Begründung seiner Bestrebungen wird
man nur im Vergleiche mit der Vergangenheit finden, nur
aus ihr heraus den dunklen Drang in zielbewusstes Streben
umwandeln. Und die Gedanken, welche den Menschen am
mächtigsten anregen, legt er auch in jenen Werken nieder,
welche ohne direct praktischen Werth in erster Linie zur
Erhebung, oder aber auch nur zur Zerstreuung bestimmt
sind. Zeitströmungen, welche in diesen keinen Nachhall
gefunden haben, können als künstlich erregte bezeichnet
werden; sie sind der grossen Menge der Gebildeten — und
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