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216 Psychische Studien. XXV. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1898.)
anlasst gesehen haben, weil meine Frau kurz vorher
sogenannte neutheosophische, „vom Herrn empfangene"
Bücher kennen gelernt hatte, die einen gewissen Eindruck
auf sie gemacht hatten, obschon sie einen freidenkerischen
Standpunkt einnimmt. Der vorgebliche Herr Jesus, der sich
auch als innere Stimme, und zwar anders als das unbewusste
Ich, vernehmen Hess, spielte seine Rolle im Grossen und
Ganzen sehr gut. Er hat sein Ansehen hauptsächlich
dadurch untergraben, dass auch er den unmittelbar bevorstehenden
Tod meiner Schwägerin immer wieder prophezeite.
Hier möchte ich nachträglich noch bemerken, dass das
unbewusste Ich und der Schutzgeist gleichfalls von diesem
Todesfalle wissen wollten.
Der Pseudo-Jesus zog sich schliesslich (im October 1894)
unter dem Vorwande zurück, dass sich meine Frau wegen
ihrer inneren Entwickelung bis auf Weiteres jede? medialen
Thätigkeit enthalten müsse; er wolle deshalb auch dafür
sorgen, dass keine Geister mehr zum Schreiben kämen. In
der T'aat wurde seit jener Zeit nicht mehr geschrieben.
Meine Frau wurde zwar hin und wieder, namentlich wenn
sie ermüdet war, von Geistern belästigt, welche sie zu
Zuckungen mit den Armen, und ein Mal auch mit den
Beinen, veranlassten; wenn sie aber des Versuches halber
ausnahmsweise einen Bleistift zur Hand nahm, wurde immer
nur geschrieben: — „Es geht nicht, ich darf nicht schreiben."
— Als innere Stimme machte sich Jesus hingegen noch
längere Zeit bemerkbar, und zwar mit Vorliebe zur Nachtzeit
, wo meine Frau wegen salbungsvoller Beden eigens
geweckt wurde.
Was soll man nun zu allen diesen Erscheinungen
sagen? Stammen sie aus einer, oder aus verschiedenen
Quellen? Und wer sind diese Quellen? Ist es neben dem
unbewussten Ich des Mediums das telepathisch wirkende
unbewusste Ich eines anderen Menschen, oder sind es
Geister von Verstorbenen, oder gar Intelligenzen einer
anderen Wesensgattung ?
Der animistischen Erklärung dürften sich im vorliegenden
Falle denn doch mehrere, kaum zu besiegende Hindernisse
entgegenstellen. Vor Allem ist zu bedenken, dass die unbewusste
Wesenshälfte die bewusste auf eine Weise getäuscht
haben müsste, die aus einer selbst noch so weit gehenden
dramatischen Spaltung des Ichs kaum erklärt werden möchte.
Ganz absurd scheint es insbesondere, dass das unbewusste
Ich des Mediums die Rolle des Vaters desselben spielt und
es zu einem gegen seine Natur gehenden Verhalten zwingt,
indem die Schwester auf ihren nahe bevorstehenden Tod
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