http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1898/0239
Wedel: Das Uebersinnliche in der deutschen Litteratur etc. 231
' zukommt, ihr Durchschauen des Königs, welcher sie prüfen
will, das Hellsehen, mit welchem sie den englischen
Gesandten den Tod ihres Feldherrn verkündet, die Beschreibung
des ihr bestimmten Schwertes: das alles sind
lauter echt somnambule Züge. Auch die Zerreissung der
Ketten im fünften Acte darf nicht übersehen werden. Von
anderen Personen macht der Dichter Talbot, diesen Erz-
skeptiker, zum Träger des Uebersinnlichen, indem er ihn
nach seinem Tode der Heldin als ,,schwarzen Ritter"
erscheinen lässt. Von unserem Standpunkte aus ist diese
Scene sehr gut motivirt, indem der englische Heerführer
seinen Hass gegen Johanna in den Tod mit hinüber nimmt,
wodurch dann sozusagen monoideistisch seine Materialisation
ausgelöst wird. Natürlich soll damit nicht etwa gesagt
sein, dass Schiller hier anders als intuitiv das Rechte
gefunden hat. Wenn er die Erscheinung des kürzlich
Verstorbenen naturalistisch hätte schildern können und
wollen, so wäre der schwarze Ritter schwerlich unter dem
üblichen Theaterspektakel in den Roden versunken. Auch
der Glaube an die Astrologie findet sich wieder in den
Worten Isabeau's: —
Welch hirnverrückender Planet
Verwirrt euch also die gesunden Sinnen?
Im „Teil" wird beim sterbenden Attinghausen die magische
Kraft zum zeitlichen Fernsehen gesteigert. Rei der „Braut
vou Messina" interessirt uns erstlich der Angelpunkt des
Konfiictes, eine Wahrsagung, welche gerade dadurch in
Erfüllung geht, dass man ihr Eintreffen zu vereiteln sucht.
Dieser Gedanke hat von der Oedipus-Tmgödie an schon oft
die Dichter beschäftigt, z. R. den in Deutschland leider
wenig bekannten Finnen Runeberg in seinem Epos „Kung
FJalar". Magisch ist ausserdem in Schiller's Trauerspiel die
elementare Gewalt, mit der sich die Sympathie der Blutsverwandtschaft
zwischen Beatrice und ihren Rrüdern Rahn
bricht, und ohne die das Verhalten der Jungfrau ein
innerlicher Widerspruch wäre. Immerhin ist jedoch mit
feinem Taktgefühle vom Dichter dies Motiv zurückgedrückt
worden, so dass nicht ein unabwendbares, spukhaftes Ver-
hängniss, sondern die ureigenste Natur der Helden die
Katastrophe herbeiführt. Auf alle Fälle würde es eine
staunenerregende Oberflächlichkeit verrathen, wenn man das
Werk als eine Schicksalstragödie im banalen Sinne des
Wortes auffassen wollte. — „Der Geisterseher" soll wohl
die Gestalt Cagliostro's als die eines fietrügers darstellen.
In den Gedichten wäre besonders „Thekla, eine Geister-
stimme" zu nennen.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1898/0239