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266 Psychische Studien. XXV. Jahrg. 6. Heft. (Juni 1898.)
anderen, etwas zitterigen Charakter an, und „Marie" schrieb:
— „Papa lässt sagen, Alfred soll nicht mehr schreiben,
sondern sogleich Stellung suchen." —
Alfred, mein Bruder, der damals seit Monaten ausser
Stellung war und Tag und Nacht fast Adressen schrieb,
lachte ob dieser Bestellung etwas und meinte, — „dann
möge Marie auch freundlichst sagen, wie er sich eine Stellung
verschaffen könne; er warte schon lange darauf." — Marie
schrieb: — „Du wirst jetzt eine erhalten, gieb Dir Mühe!"
— Darauf meinte meine Mutter: — „Dann könne er sich ja
an einen kaufmännischen Verein wenden;" - er hatte dies
bisher, als „wegen des grossen Andranges doch unnütz, zu
thun versäumt. Marie schrieb: — „Ja, ja, thut es, das ist
recht." —
Dies war an einem Dienstag-Abend. Am Sonnabend
darauf, als die Adressenarbeit für die Woche beendet war,
suchte mein Bruder thatsächlich, aber allerdings mit wenig
Hoffnung, einen kaufmännischen Stellenvermittelungs-Verein
auf und Hess sich in die Liste eintragen. Er erhielt sofort
die Adresse eines Geschäfts, in dem gerade eine Vacanz
zu besetzen war, ging hin, stellte sich vor und wurde —
engagirt. Er hat diese Stellung noch heute inne!
Aus welcher Quelle floss nun die Bestellung jener sich
Marie nennenden Intelligenz? Lag hier unbewusstes Hellsehen
meinerseits vor? War eine Vorahnung im Spiele?
Oder sollte wirklich blos der berühmte — Zufall gewirkt
haben? — Marie gab an, der Geist meiner verstorbenen
Urgrossmutter zu sein. Ihre Identität
konnten wir natürlich nicht feststellen, da ihre diesbezüglichen
Angaben ebenso gut auf Gedankenübertragung von
Seiten meiner Mutter, als auf unbewusster Erinnerung meiner
eigenen Psyche beruhen können; sie hat sieb auch nach
diesem ersten Mal nur noch zwei oder drei Mal zum Wort
gemeldet.*)
Dafür blieb uns „ Weber* desto treuer, und — wer war
nun Weber? — Wir sind allerdings alle drei aus Potsdam
gebürtig, haben aber dort nie einen Kaufmann Weber
gekannt. Er gab vor, meine Mutter gekannt zu haben, als
sie ein ganz kleines Kind war. Meine Mutter hatte allerdings
eine dunkle Erinnerung, als ob ihr verstorbener Vater
*) Man vergl. hierüber — „Animismus und Spiritismus" — von
A. Aksakow (Leipzig, Oswald Mutze, 1894) 2. Aufl., 2. Bd. S. 573 ff.
die Erörterungen über „Die Identität der Persönlichkeit eines Verstorbenen
, konstatirt durch Kundgebungen von Thatsachen, welche
nur allein von dem Verstorbenen selbst gekannt sein oder
mitgetheilt werden konnten." — Der Sekr. d. Reo.
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