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Kurze Notizen.
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ganzen Hexenunfug und dessen Verfolgung hat man auch
aus dem einzigen Berauschmittel, das aus dem Stechapfel
(datura stramonium) gebraut worden, herzuleiten versucht,
welches durch die Zigeuner in Europa aus Italien eingeführt
worden ist und bei nächtlichen Schwelgermahlen die Köpfe
mit Traumbildern der verschiedensten Art und Teufeleien
erfüllt habe* Und trotzdem werden die Zigeuner nirgends
als Anstifter von Hexenversammlungen erwähnt. Dies zeigt,
wie geschickt die Zigeuner bis auf den heutigen Tag ihren
Volksglauben und religiösen Brauch vor fremden Augen
verbergen konnten. In einer Zeit, die noch die Blutbeschuldigung
gegen die Juden erlebt, darf also eine Zusammenstellung
aller der Geheimmittel und Zaubereien der
Zigeuner, bei denen Blut, namentlich Menschenblut in
Verwendung kommt, als Beitrag zu einer künftigen Geschichte
des Blutzaubers ihre Berechtigung haben.1 — Dieser
Animismus prägt sich sodann sehr klar in dem wunderlichen
Schicksalsglauben der Zigeuner aus, einem Fatalismus, dessen
Kehrseite die entsprechende Vergötterung des blödesten Zufalls
bildet. Die Kunst, Glück und Unglück vorherzusagen,*)
drohenden Katastrophen durch geeignete Vorkehrungs-
maassregeln rechtzeitig zu begegnen und überhaupt alle
irgendwie wichtigen Handlungen rite vorzunehmen, bezeichnet
eine sehr hohe Stufe gereifter Erkenntniss. Wie sehr diese
Anschauung das ganze Sinnen und Trachten der Zigeuner
beherrscht, davon legen unter anderem auch die mitgetheilten
Märchen- und Erzählungen**) ein beredtes Zeugniss ab. —
Dieser Forscher hat jahrzehntelang mit dem flüchtigen,
unsteten Zigeunervolk ein Wanderleben geführt, nachdem
es ihm gelungen war, in den Stamm der ungarischen
Zigeuner aufgenommen zu werden; ja er brachte seiner
wissenschaftlichen Wissbegier ein noch grösseres Opfer, indem
er aus ihrem Kreise sich eine Lebensgefährtin erwählte."
— Wir verweisen noch auf seine früheren Schriften: —
„Vom wandernden Zigeunervolka, — „Volksdichtungen der
siebenbürgischen und ungarischen Zigeuner" (1890) und
„Volksglaube und religiöser Brauch der Zigeuner44 (1891),
welche die oben besprochene Schrift ergänzt. — Leider sind
im Mittelalter auch viele Zigeuner als Kinder des Teufels
dem Scheiterhaufen zum Opfer gefallen. Ihr Blut- und
anderer Zauber, sowie ihre Wahrsagekunst sind offenbar
mit obigen Andeutungen noch keineswegs vollständig erklärt.
*) Man vergl. hierzu Prof. Perty's Artikel: — „Ueber die Wahrsagung
der Zigeuner" — in „Psych. Stud." October-Heft 1877 S. 465 ff. —
**) Man lese z. B. „Zigeuner-Weihnacht" im folgenden Hefte. —
Der Sekr. d. Red.
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