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344 Psychische Studien. XXV. Jahrg. 7. Heft (Juli 1898.)
das Gebet zuweilen wirklich erhört wird. In diesem Buche
erhalten wir eine genaue jährliche Darstellung seiner
Einnahmen und Ausgaben während vieler Jahre. Er bat
niemals Jemanden, noch gestattete er irgend Jemandem,
direct oder indirect auch nur um einen Pfennig zu betteln.
Es wurden weder jemals Subseriptionen, noch Sammlungen
veranstaltet; und doch hat er vom Jahre 1830 ab (wo er
ohne irgend welches Einkommen heirathete) gelebt, eine
Familie grossgezogen und Institute eingerichtet, welche sich
beständig vergrössert haben, sind bis jetzt von ihm vier
Tausend Waisenkinder erzogen und zum Theil unterstützt
worden. Es hat sich Hunderte von Malen ereignet, dass
keine Nahrung in seinem Hause und auch kein Geld, um
solche zu kaufen, noch Brot, oder Milch, oder Zucker für
die Kinder vorhanden war. Und doch nahm er niemals ein
Brot oder irgend welchen anderen Artikel auf Credit auch
nur einen Tag; und während der 30 Jahre, über welche sich
seine Erzählung verbreitet, sind weder er, noch die Hunderte
hinsichtlich ihrer täglichen Nahrung von ihm abhängiger
Kinder jemals ohne reguläre Mahlzeit geblieben. Sie haben
buchstäblich von der Hand in den Mund gelebt, und seine
einzige und alleinige Zuflucht ist das geheime Gebet gewesen.
Hier ist ein Fall, welcher mitten unter uns vierzig Jahre
lang vor sich gegangen ist und noch weiter vor sich geht;
er ist der Welt viele Jahre lang bekannt gegeben gewesen,
und doch ist ein heisser Streit von ausgezeichneten Männern
über die Thatsache geführt worden, ob das Gebet Erhörung
finde oder nicht, und Keiner von ihnen verräth die geringste
Kenntniss von diesem höchst andauernden und lehrreichen
Phänomen." —
Es ist interessant, nachzulesen, wie Wallace, der grosse
Führer des reinen Spiritualismus, sich bei dieser Gelegenheit
mit der Bedeutung und Berechtigung des Gebetes auseinander
setzt Bekanntlich leugnen gewisse Spiritisten im Prinzip die
Nothwendigkeit des Gebetes und haben ihre Ansicht darüber
in der Anschauung festgelegt: — das ganze Leben des
Menschen soll ein immerwährendes Gebet sein.
Wallace dagegen ist der Ansicht, dass — „die Frage
über die Wirksamkeit des Gebets durch den Spiritualismus
eine vollständige Lösung erhält." — Er schreibt: — „Das
Gebet kann oft, wenn auch nicht direct von der Gottheit,
eine Erhörung finden. Auch hängt die Erhörung nicht ganz
von der Moralität oder Keligion des Bittstellers ab; aber
da Menschen, welche moralisch und religiös sind, und fest
an eine göttliche Erhörung ihres Gebetes glauben, häufiger,
ernster und interesseloser beten werden, so werden sie eine
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